15. Tag - Alice Springs - im Red Center
Am Uluru (Ayers Rock) im Uluru Kata Tjuta Nationalpark



Uluru (Ayers Rock)

Menschenmassen an der Sunset Viewing Area - wo kommen die bloß alle her? Einen Stacheldrahtzaun hat man gezogen, etwa einen Kilometer lang, ganz unten vom Parkplatz in leicht geschlängelter Linie den flachen Hang herauf. Hier oben fand ich noch ein Plätzchen in der ersten Reihe und warte nun mit schussbereiter Kamera auf das vielbesungene Aufglühen des Monolithen. Die Besucher besetzen inzwischen dicht an dicht die ganze Strecke der Absperrung. Einen freien Blick auf den Uluru haben nur die ganz vorne stehenden. Dahinter drängeln die später gekommenen an manchen Stellen in sieben, acht Mann tiefen Pulks. An gedeckten Tischen, in der Nähe der Parkplätze, bieten Reisebüros Champus zu maritimen Snacks, andere mehrgängige Menus, auf Wunsch mit Didgeridooklängen aus dem Walkman. Nur dem guten, alten Ayers Rock fällt es nicht im Traum ein zu erglühen.

Ich denke es ist etwas unfair täglich die vielen Mensche hierher zu karren, denn das Alpenglühen, und um ein solches handelt es sich hier, ist an diesem Berg sicher ein ähnlich seltenes Phänomen, wie bei uns in den Alpen, oder wo immer Berge in der Abendsonne stehen. Man muss den Veranstaltern aber zu Gute halten, dass es eben doch manchmal passiert, aber niemand sicher vorhersagen kann, wann es tatsächlich eintritt. Die Sonne muss dazu bereits seit etwa 25 Minuten unter der Erdkrümmung versunken sein, und am westlichen Horizont sind Wolken nötig, deren untere Flächen den langwelligen, roten Lichtanteil beugen bzw. regelrecht spiegeln können. Stimmen dann auch noch die Winkel der Lichtbahnen (Sonne - Wolken - Berg - Betrachter) erstrahlen einzelne Areale, oder auch der ganze Berg glühend rot.

In der extrem klaren Luft erkennt man bereits auf großer Entfernung sehr deutlich Details und Strukturen in der Flanke des Ulurus, wie ihn die Aborigines nennen. Man unterschätzt die Distanz, glaubt ihm bereits sehr nahe zu sein und erwartet ihn deshalb auch deutlich kleiner. Aus der Nähe erscheint er dann geradezu monströs, unwirklich. Ein Fremdkörper, der mit roten, oft senkrechten Wänden übergangslos aus dem flachen Land ragt. Keine Schuttfächer fließen aus seinen Schluchten, keine Geröllhalden belagern seine Wände. Als hätte ein archaischer Titan den Riesenblock inmitten der Vegetation einfach abgelegt.

Die tief eingegrabenen Schluchten, die großflächigen Wände, alles an dem Monolithen ist riesig. Starke Temperatursprünge - im Tagesverlauf 30° und mehr - sprengen von der Oberfläche des stark eisenhaltigen Arkose-Sandsteins Schuppen ab. Diese meist kleineren Platten sind polymorph, keine ist wie die andere und doch sprenkeln sie die Kanten und Winkel, die Höhlungen und Kuppen des seltsamen Berges völlig gleichmäßig. - Christo und Jeanne Claude waren da und haben den Berg in eine Raufasertapete de Lux verpackt! - Oder ist es am Ende doch die schuppige Haut eines zu Stein gewordenen Wesens aus einer Sphäre deren Zugang uns verschlossen ist?

Dem Anangu-Stamm, seit 1985 wieder Besitzer des Landes, aber auch der übrigen Urbevölkerung des Kontinents galt und gilt der Berg als höchstes aller Heiligtümer. Er ist ihr Buch der Bücher. Seine Erosionsmahle, seine Höhlen und Wasserlöcher, seine Schluchten, Risse und Spalten, jede Einzelheit bedeutungsschwer, erzählt von der Erschaffung der belebten und unbelebten Natur und von der Einbindung der Menschen in dieses allumspannende Geflecht. Er war dereinst Schauplatz großer Konflikte zwischen den Wesen der Traumzeit, der Zeitspanne also, in der die belebte und unbelebte Natur ihren Anfang nahm. Mit seinen Schnittpunkten wichtiger mystischer Pfade besitzt dieser Ort wie kein anderer eine machtvolle spirituelle Energie.

Da ist aber auch ein recht pragmatischer Umstand, der dem Berg Sympathiepunkte seit alters her beschert: In seinem unmittelbaren Umfeld lebte es sich einfach angenehmer, als ringsum in der Trockenvegetation zwischen den kümmerlichen Gehölzen und den Igelgrasbüscheln (Spinifex - Triodia irritans). Zu den bewohnbaren Höhlen und den ganzjährigen Wasserlöchern kommt ein Gürtel um den Berg mit auffallend reichem Pflanzenwuchs und vielfältiger Tierwelt. Den Überfluss mästet das Regenwasser, das in enormer Menge über die Flanken des Uluru abfließt und an seinem Fuß die Erde tränkt. Es regnet hier natürlich nicht häufiger als im Umfeld, aber der regelmäßige Extraschluck lässt zahlreiche Pflanzenarten gedeihen, die wenige hundert Meter abseits kein Auskommen mehr finden. Die Feuchtigkeit im Untergrund hält sich so nachhaltig, dass sogar mehrere Eukalyptusarten mit prächtigen Bäumen vertreten sind.

Heute profitieren die alten und neuen Herren des Landes wieder vom Umfeld ihres Heiligtums. Sie graben zwar nicht mehr nach Wurzeln und Maden, oder belauern die Kängurus mit steinzeitlichen Waffen. Statt dessen sprudelt der Besucherstrom als unerschöpfliche Geldquelle. Von den etwa 2.000 Ureinwohnern die dereinst hier lebten sind aber nicht mehr viele übrig geblieben. Einige wenige arbeiten in der Parkverwaltung und in deren touristischem Umfeld. Andere bewohnen künstlich in die Wildnis gesetzte Dörfer, die Outstations, und partizipieren kaum vom florierenden Fremdenverkehr. Die meisten sind aber einfach verschwunden. Wohin? Man weiß es nicht so recht. Offenbar interessiert das aber auch Niemanden sonderlich.

Zu nachtschlafender Zeit hat man uns in den Bus gesteckt und zu dieser Plattform gefahren, die aus verzinkten Eisenrosten zusammengeschraubt an die Flanke einer alten Sanddüne montiert ist. Im Osten der Uluru, ein Scherenschnitt am Horizont vor einem Himmel in den ersten schwachen Pastelltönen des beginnenden Tages. Es ist bitter kalt. Die letzten hellen Sterne verblassen und in der Ebene zu unseren Füßen schälen sich Konturen aus der Dämmerung. Ein Würgevogel begrüßt den Tag mit klagendem Ruf. Langgezogen, melodisch, in endloser Wiederholung begleitet er den heraufdämmernden Morgen. Vollkommene Stille ringsum, kein Windhauch, kein Geplapper von Mitreisenden, nur das schwermütige Rufen des unsichtbaren Vogels. Und dann zerfließen die Schatten und Fantasien der Nacht von einem Augenblick zum nächsten: Direkt hinter dem Berg geht machtvoll, mit alles beherrschender Dominanz die Sonne auf.


zurück