16. Tag - Alice Springs - im Red Center
Die Olgas im Kata Tjuta Nationalpark



Die Olgas

600 Millionen Jahren Erosion haben anders als beim Ayers Rock, das ursprünglich ebenfalls kompakte Massiv in 36 rundliche Klötze zerfressen. Jeder für sich alleine ein Berg, bedeckt die Gruppe mehr als 30 km². Durch tief eingeschnittene Schluchten mit oft senkrechten Wänden führen einige Wanderwege in das Gebiet. Am bekanntesten wohl der dreistündige Rundweg durch das Valley of the Winds und der kürzere Gorge Walk.

Die Gipfel der Felskuppen sind tabu, ihre Besteigung in den Augen der Aboriginal Peoples ein Sakrileg. Für Normalsterbliche sind viele wegen der klettertechnischen Schwierigkeiten aber ohnehin mehr oder weniger unbesteigbar. Die Felsen bestehen aus sehr kompaktem Konglomerat, ähnlich unserem Nagelfluh. Eisenmineralien färben hier aber das "Füllmaterial" zwischen den eingebackenen Kieseln in roten und braunen Tönen. Die Schluchten zwängen sich zwischen großflächigen, vollkommen glatt erscheinenden Felswänden, die erst aus unmittelbarer Nähe die polymorphe Fülle aus kleinen Buckeln und Löchern erkennen lassen - wäre ein Traum für Extremkletterer in den hohen und höchsten Schwierigkeitsgraden. Wie bereits gesagt geht das aber nicht, wegen der Ureinwohner. Denen sind diese Berge heilig wie den Tibetern mancher Gipfel des Himalajas heilig ist. Bloß den Tibetern mit ihrer gelebten Naturreligion, ihren Wallfahrten und ihrer Präsenz in dem kargen Land glaubt man das. Bei den Aborigines fällt es schon schwerer. Es lebt kaum mehr einer von ihnen in der Wildnis nach den Regeln und Riten ihrer Überlieferung. Sie pflegen vielfach lieber ihre Lebensphilosophie, die sie erfolgreich durch zehntausende von Jahren im Outback führte: Überleben, einfach überleben und den Aufwand dafür auf das äußerst notwendige reduzieren. Wie geht das effektiver als mit dem Sozialhilfescheck in der Tasche und einem erreichbaren Supermarkt? Warum so viele dieser dereinst stolzen und selbstbewussten Menschen derart entwurzelt und ins Abseits gedrängt werden konnten, ist mit wenigen Sätzen nicht zu umreißen. Sie sind, wie auch die Urbevölkerung vieler anderer Länder, unter die Räder der übermächtigen weißen Zivilisation geraten und daran (fast?) zerbrochen. Die Aborigines verfügten über keinerlei Schrift. Ihr Wissen, ihre Erkenntnisse, ihre moralischen und sakralen Werte, selbst die manuellen Fähigkeiten und die Regeln für das alltägliche Miteinander gaben sie ausschließlich mündlich von Generation zu Generation weiter. Die veränderten Lebensbedingungen unterbrechen die Kontinuität, die Jungen wenden sich ab vom Geist der Väter. So bedeutet der Tod jedes einzelnen ihrer Alten eine weitere irreparable Erosion der in Agonie abgleitenden alten Kultur. Man sollte aber, um auf die Olgas zurückzukommen bedenken, dass ehemalige Heiligtümer oft noch lange eine gewisse Aura umgibt: Auch wenn sie nichts mit dem Katholizismus am Hut haben, fänden es viele Menschen nicht so besonders gut, wenn die nächste Weltmeisterschaft im Freeclimbing an der Fassade des Kölner Domes ausgetragen würde.

Mit den Heiligtümern ist das aber so eine Sache. Im Lichte von Ratio und Aufklärung sind Religion und Heiligkeit Produkte menschlicher Projektion und Fantasie. Letztendlich wurden alle Religionen, sowohl rezente als auch bereits wieder erloschene, einmal in die Welt gesetzt, im lokalen Umfeld mehrheitsfähig gemacht und dann zu sakrosankter Allgemeinverbindlichkeit erhoben. Von diesem Punkt an ist das Ganze reif für die Profis, die Schamanen, Zauberer, die weisen Alten, Mullahs, Stellvertreter Gottes auf Erden, Gurus und all die Anderen, die aus den Ängsten der Menschen und ihrem Bedürfnis nach Spiritualität Macht und Einfluss gewinnen. (Warum sind das eigentlich immer Männer?). Nun ist aber Religion als rein geistige Lehre einem breiten Publikum auf Dauer schwer vermittelbar. Ein wenig von dieser Welt muss schon sein. Und was wäre da geeigneter als Heiligtümer? Höhlen, Berge, alte Bäume, Bilder, Tiere, Bauwerke, Bücher, Statuen, Worte, selbst lebende oder auch tote Menschen - die Dinge und Begriffe sind Legion an die die Menschheit in allen Epochen ihrer Geschichte Insignien der Heiligkeit vergab. Es war und ist aber immer nur ein Privileg auf Zeit. Die Autorität der geistlichen Führer ist der Garant für das Weiterleben des heiligen Erbes. Verschwindet, aus welchem Grund auch immer, die Macht der sakralen Elite, fällt deren Religion samt ihrer Heiligtümer der Beliebigkeit anheim. Die Menschen leben mehr und mehr ihre Spiritualität nach eigenem Empfinden aus und ihre Heiligtümer verfallen oder mutieren, wie in unserem Alltag, zu erhaltenswertem Kulturgut. Irgendwann später graben dann Forscher Fundamente aus der Erde, bergen Artefakte aus Gräbern, und keine Moral, keine Ethik, keine sakrale Hemmschwelle hindert sie daran.

Dieses "irgendwann später" bedeutet bei großen Kulturen und ihren Religionen meist Jahrtausende. Es geht aber manchmal auch irritierend schnell, wie etwa bei den mittelamerikanischen Hochkulturen. Verborgen in einer tiefen Höhle entdeckten dort Forscher im Lichtkegel ihrer Lampen Opfergaben. Auf Absätzen stehen Gefäße mit Resten von Körnern und Früchten, tönerne Figuren in Nischen, an exponierter Stelle und völlig von Sinter überzogen das Skelett einer dereinst geopferten jungen Frau. Sie begreifen, dass sie in eines der größten Heiligtümer der Majakultur eingedrungen sind: Dem Eingang zu deren mystischer Unterwelt. Es sind keine 500 Jahre vergangen, seit die spanischen Inquisition mit Folter und Scheiterhaufen die Eliten, die intellektuellen Errungenschaften und die Religion dieses Volkes eliminierten. Für die Landbevölkerung die jetzt hier lebt, die Nachfahren der versunkenen Hochkultur, bedeutet der Ort nur noch das was er über Jahrmillionen war, bevor ihn Priester und Gottkönige heilig sprachen: Ein Loch in der Erde, aus dem bei Regen Wasser quillt.


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