9. Tag - Dangriga - Die Garifuna und ihre Geschichte
Hopkins - Cockscomp Basin Wildlife Sanctuary



Dangrina
20.000 Hektar Zitrusbäume. Vor 80 Jahren, so erzählt man sich hier, pflanzte einer 13 Orangenbäumchen. Und die Idee war gut. Heute dominieren die Reihen der niederen Bäume das fruchtbare Schwemmland des North Stann Creek River. Zwei hochmoderne Fabriken verarbeiten die gesamte Ernte zu Saft und Konzentrat für den Export. Fischerei, Kleingewerbe und Fremdenverkehr spielen wirtschaftlich eine gewisse Rolle, können die Stadt aber nicht wirklich weiterbringen. Es sind die Orangen, Grapefruits und Zitronen von denen die Region lebt.

Dangriga, die Stadt an der Mündung des North Stann Creek ist die größte Garifunasiedlung Belizes. Sie hat durchaus Charme, trotz des allgegenwärtigen Verfalls. In der Flussmündung, vor der Brücke liegen Fischerboote neben den überdachten Lastkähnen, die Gemüse und Obst aus den Nachbarländern verkaufen. Die verwitterten Holzhäuser mit ihrer abblätternder Farbe stehen auf hohen Pfählen, um sie vor den sporadischen Überschwemmungen zu schützen. In den engen Strassen um den Markt drängen sich kleine Basare mit kunsthandwerklichem Angebot zwischen Obstständen und Stoffhändlern.

Die Garifuna und ihre Geschichte
Die Garifuna, wie sich die Menschen hier selber nennen, sind stark in ihren Traditionen verwurzelt und der Mystizismus Ihrer Religion erregt oft Misstrauen bei Außenstehenden. Die "neue Zeit" gräbt aber auch hier ihre Furchen. Viele der Bewohner kehren der traditionellen Landwirtschaft und Fischerei den Rücken, werden Lehrer oder besetzen Positionen in Staat und Wirtschaft. Künstlern wie dem Maler Benjamin Nicholas mit seinen detailverliebten, naiven Bilder geling es international Aufmerksamkeit zu erringen.

Die Klammer der Kultur aber ist nach wie vor die Religion, eine spirituelle Verbindung der Lebenden und Toten mit der Zukunft, ein Mix aus karibischen und afrikanischen Riten. Voodoo-Praktiken wie die "Magie des Obeah" sind auch heute gelebte Wirklichkeit. Dabei wird guter, vor allem aber böser Zauber gegen Mitmenschen gelenkt. Haare, persönliche Dinge oder Puppen die den Angegriffenen darstellen dienen als Medium und Boten des Unheils.

Anfang des 19. Jahrhunderts bauten Garifuna hier am Fluss eine erste Ansiedlung, die sich durch Zuwanderer rasch vergrößerte. Stan Creek Town nannten sie den Ort und der wurde in der Folge dem jungen Volke zur Heimat. 300 Jahre früher:1635, laufen zwei spanische Schiffe, überladen mit nigerianischen Sklaven auf die Riffe vor der Karibikinsel St. Vincente. Viele der Afrikaner können sich von den sinkenden Seglern retten, erreichen schwimmend das Land und werden von der indianischen Bevölkerung in deren Dörfern aufgenommen. Wieder 150 Jahre und einige Konflikte und Versöhnungen später sind die beiden Rassen zu einem neuen Volk, den Garifuna, verschmolzen, mit gemeinsamen Riten und gemeinsamer Kultur. Ihr Aufstand gegen die Briten und deren von Sklaven bewirtschafteten Plantagen endete 1796 in einem Desaster. Joseph Chatoyer ihr charismatischer Anführer tot und 5000 Männer gefangen. Noch im gleichen Jahr werden 2000 Menschen Männer, Frauen, Kinder auf die honduranische Insel Roatan verschleppt und dort mit wenigen Lebensmitteln ausgesetzt. Geschick und Tüchtigkeit ließen sie gegen alle Erwartungen nicht nur überleben, die Bevölkerung vergrößerte sich stetig. Später versuchten sie es dann mit einem Staatsstreich gegen die Regierung Honduras. An dessen Ende saßen sie aber als Verlierer auf ihrer Insel, der Willkür der Sieger ausgesetzt. Geführt von Alejo Benji tauchte 1823 eine erste Gruppe Fliehender hier am Stann Creek auf und sehr viele folgten.

Hopkins, das Fischerdorf im Süden Dangrigas
An Land gezogene Boote, Reusen, Angelschnüre mit Schwimmern und über Stangen hängende Netze. Das ganze Dorf lebt ausschließlich vom Fischreichtum der Riffe vor seiner Küste. Tourismus spielt in der ganzen Region nur eine untergeordnete Rolle. Hier in Hopkins bieten einige einheimische Frauen lokale Gerichte und mit der Sundy Beach Lodge einfache Übernachtungen in schilfgedeckten Hütten.

Von den Kokospalmen, die laut Reiseführer den Strand übersäen, sind nicht viele übrig geblieben. Denen hat der letzte Hurrikan samt und sonders die Kronen abgerissen. Die verbliebenen Stämme und Palmwedel dienten beim Wiederaufbau der Hütten als hochwillkommener Rohstoff für Wände und Dächer. Inzwischen stehen wieder junge Palmen wie zu groß geratene Strubbelköpfe im Sand und das Dorf ist weitläufiger als es vor dem großen Sturm war. Die Gebäude stehen alle auf Pfählen, da schwappt das Hochwasser zum großen Teil unten durch. Einige der älteren haben aber beachtlich schiefe Wände. Offenbar überstanden die irgendwie gerade noch das letzte Inferno. Mir drängt sich da ein bedrückendes Szenario auf. Der nächste Hurrikan: Über Stunden und Tage Wolkenbrüche, Stürme 200 Stundenkilometer schnell, das Wasser meterhoch in Wellen zwischen den Hütten. Schwer vorstellbar wie in solcher Apokalypse hier auch nur ein Stein, (hier passender wohl ein Brett) auf dem anderen bleiben soll. Die Sandfläche mit den Häusern und der Wasserspiegel des Ozean - es ist doch kaum ein halber Meter dazwischen!

Mit solch schwarzen Gedanken scheine ich aber ziemlich alleine zu sein. Die Leute hier sind gut drauf. Einige schwatzen und lachen unter einem Sonnendach, einer Art Hütte ohne Wände. Kinder spielen unter einer Bauruine im Sand, und die halbe Einwohnerschaft drängelt sich im Gemeinschaftshaus. Alle haben sich fein gemacht, den Raum geschmückt und in einem Nebengebäude hat man ein Schwein geschlachtet: Heute Abend steigt das große Dorffest!

Cockscomp Basin Wildlife Sanctuary
Die großen Hunde toben um den Stamm, kläffend, jaulend, versuchen hochzuspringen, dazwischen in Abständen das kehlige Fauchen des großen Katers. Er fühlt sich sicher auf seinem dicken Ast, die geifernde Bande da unten ist aber lästig. Sie haben ihn auf seinem nächtlichen Streifzug aufgespürt und gehetzt. Es waren keine hundert Meter die die Tiere mit Höchstgeschwindigkeit durch das Dickicht rasten. Im Sprint ist die Meute aber chancenlos und der alte Jaguar kennt sein Revier, weiß genau wo der nächste passende Baum steht. Ein mächtiger Satz zwischen die unteren Äste und er kann in Ruhe abwarten bis es den Kläffern langweilig wird und sie sich wieder trollen. Heute aber ist alles anders. Die riesige Katze wird in wenigen Minuten umgebracht sein, erschossen aus allernächster Nähe. Oder wenn sie nicht zu hoch sitzt, noch "weidgerechter" mit einem Speer abgestochen. Die Rinderzüchter dezimierten so den vermeintlichen Feind ihrer Herden. Zahllose Jagdtouristen schätzten diese völlig gefahrlose Art zu jagen ebenfalls. Konnten sie doch sehr sicher sein, für ihr Geld das Fell der größten Neuweltkatze nach Hause mitnehmen zu können.

1974 wurde die Jagd auf Jaguare im Lande verboten. Die Farmer hielten sich nicht daran, sie fürchteten um ihre Herden. Jedes verlorene Tier wurde den gefleckten Katzen angelastet. Die Wende brachte Alan Rabinowitz, der 1982 erste Ergebnissee seiner umfassenden Feldstudien über die heimischen Raubkatzen vorstellte. Unter anderem schlichen für die gute Sache sechs Jaguare mit Funksendern am Hals durch das Dickicht und offenbarten so neben ihren Lebensgewohnheiten auch ihr Beutespektrum. Es war alles mögliche dabei, sogar Schlangen und Fische, aber keine Rinder. Man konnte nur verletzte, kranke und sehr alte Tiere beobachten, die der Hunger in die Nähe der Menschen und ihrer Haustiere trieb. Rabinowitz Forschungen weckten Verständnis und Toleranz für die großen Katzen in der Bevölkerung. Er ebneten so den Weg zu dem einzigartigen Schutzgebiet.

Das Reservat heute: Zu Füßen des Victoria Peak an den Westabstürzen der Maya Mountains wilde Schluchten, tosende Wasserfälle, Klippen, Steilhänge, 580 km² Regenwald für die gefleckten Räuber. Alles umringt von schützenden Bergketten. Beute in Hülle und Fülle. Rotwild, Tapire und mehr als 50 andere Säugerarten teilen sich den Wald mit 300 Vogelarten. Mit Puma, Ozelot, Margay und Jaguarundi, finden neben den Jaguaren vier weitere Katzenarten Nahrung für sich und ihre Jungen.

Das Gebiet hat fruchtbare Böden. Es ist Ackerland seit Maya-Zeiten und wurde noch weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein kleinräumig mit Brandrodung bewirtschaftet. Ein halbes Jahrhundert lang räumten Holzfällertrupps die dicken Stämme aus dem Wald und in den dreißiger Jahren planierte ein Hurrikan alles was noch stand und den Unterwuchs überragte. Die nachwachsende Wildnis entwickelte sich zu einem undurchdringlichen Dickicht, das für Menschen nicht mehr passierbar ist. Eine gute Stunde durchwanderten wir einen solchen Vegetationsgürtel. Links und rechts des freigeschlagenen Weges ein Gewirr verschiedenster Pflanzen, dicht wie eine geschnittene Thujahecke. Eine durchgehende vier, fünf Meter hohe Mauern die oben in einzelne Stauden und Baumwipfel ausfranst. Später dominierten Cohune-Palmen den Wald. Mit ihren mehr als fünfzehn Meter langen Wedeln beschatten sie den Boden, selektieren den Unterwuchs. Der ist deutlich schwächer als vorher in der prallen Sonne, wo auch lichthungrige Arten ihren Platz finden.

Und jetzt im flachen Wasser die alten Urwaldriesen mit ihren mannshohen Brettwurzeln. Hier hat schon lange keiner mehr Bäume gefällt: Zwischen den Stämmen, in trägem Bogen eine schenkeldicke Liane. Diese Pflanzen wachsen sehr langsam.100, 150 Jahre mögen vergangen sein seit sich die Schlingpflanze als bleistiftdünner Strang zwischen diese Stämme gehängt hat. Das Blätterdach ist dicht. Nur wenige kleine Lücken öffnen der Sonne den Weg zu den Spezialisten am Waldboden. Moose, Bromelien, Farne, Orchideen, Baumschösslinge, es sind nur noch wenige denen das Dämmerlicht am Boden die Nischen öffnet. Die Luft ist schwül und sehr warm, nicht das geringste Geräusch, nicht der geringste Windhauch, alles sehr fremd und beeindruckend - man könnte glatt zum Fan solcher Plätze werden, wenn man es nicht schon wäre.


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