12. Tag - Von Dangriga über Belize City zur
Lamanai Outpost Lodge
Lamanai die alte Mayastadt am New River



Von Dangriga über Belize City zur Lamanai Outpost Lodge
Die beiden Yamaha Außenborder treiben unser Schiff mit hochgedrücktem Bug recht flott südwärts durch das braune Wasser des New River. In Toll Bridge südlich von Orange Walk sind wir gestartet. Nun ziehen Kulturland, Gebäude, Brachflächen vorbei, werden rasch weniger und ein paar Minuten später glaubt man sich in einer unberührten Wildnis.

Der Fluss zieht über weite Strecken durch nachhaltig bewirtschaftetes Acker- und Weideland. Es sind schmale Auwaldstreifen, an manchen Abschnitten aber auch kilometerbreite Sümpfe, die mit ihrem niederen, ineinander verfilzten Gewirr aus Bäumen, Büschen, Epiphyten und Lianen ein Bild unberührter Natur vermitteln. Das Wasser teilt sich, umfließt Inseln und Schilfflächen, findet wieder zusammen. Wir bummeln Stop and Go durch einsame Seitenarme mit Seerosenfeldern und über weite, offene Wasserflächen.

Schöne Bilder: Windstille, Sonnenschein, Wärme, mistelbewachsene Blauholzbüsche im tiefen Wasser, groß wie ein Fußball die Frucht einer Wasserkastanie (Pachira aquatica). Sie soll bei der Regeneration im Wochenbett sehr hilfreich sein, erzählt man uns. Ein Fischer steuert sein Kanu längsseits und zeigt mit Anglerstolz die Beute. Mangrovenschwalben kurven um einen verfallenen Anlegesteg. Ein Jacana-Hühnchen stolziert mit seinen überlangen Zehen auf den Seerosenblättern herum. Lokal nennt man die hübsche, kleine Ralle Jesus Christ Bird. Der Vogel läuft ganz offenbar über das Wasser, wie der große Jude im alten Palästina. Es ist nicht Nacht und das hier auch nicht der sturmgepeitschte See Genezareth. Verblüffend ist es aber allemal.

Und dann völlig übergangslos der Wolkenbruch. Vor der Sonne schützt die Gäste im Boot eine Persenning. Jetzt bei dem Platzregen, erweist sich das Dach aber so hilfreich wie ein Regenschirm im Sturm. Besonders ganz vorne am Bug auf den ersten Plätzen gibt's die volle Dusche. Und genau dort sitze ich und mache in Fatalismus: So ein tropisches Gewitter dauert nicht ewig, und dann scheint wieder die Sonne, und die Kleidung trocknet rasch in der Wärme. Und so kommt es dann auch. Als wenig später Shipyard, die Mennonitensiedlung am Ufer vorbeizieht ist der ganze Spuk vorbei.

Die Ufer treten zurück. Das Gewässer öffnet sich zum New River Lagoon, einem fast 50 Kilometer langen und durchgehend gut tausend Meter breiten See. Als hätte man das Wasser in eine breite Schlucht gestaut, folgen die Ufer in gleichbleibendem Abstand den Windungen des seltsamen Gewässers. Das Land ist flach, die Ufer heben sich kaum aus dem Wasser. Bis zur Mündung des New River in die achtzig Kilometer entfernten Bucht von Corozal steht kaum Gefälle zur Verfügung. Hier fließt einfach nichts ab. Wir schipperten heute bereits den ganzen Weg durch vollkommen unbewegtes Wasser. Kein driftendes Blatt, kein Kräuseln der Oberfläche, nichts das eine Strömung erkennen ließe.

Nach einem letzten Anlegen bei der Mayastätte Lamanai, ereichen wir am frühen Nachmittag die Lamanai Outpost Lodge am Westufer des Sees. Gerade rechtzeitig, um noch ein wenig zu schlafen und dann durch den Hotelpark zu stromern. Am Hang unter dem Dörfchen Indian Church schuf man eine bewohnbare, künstliche Wildnis. Umgibt den Zentralbau noch ein üppiger, gepflegter Garten, stehen die Pflanzen mit zunehmendem Abstand immer dichter. Bei den letzten Cabañas am Rande der Anlage werden die Blüten weniger, und die Kunstwelt verliert sich in der wilden Vegetation des Flussufers. Direkt neben dem Eingang zu meiner Hütte streckt eine Schlange den Kopf aus einer Spalte der Gartenmauer. Ich hab' sie nicht verpetzt. Sie wohnt wohl noch immer dort - es sei denn sie fand die räumliche Nähe eines späteren Gastes ärgerlich und reagierte unbesonnen.

Es ist nicht mehr so heiß. Ich liege in der Hängematte auf meiner Terrasse, ein Bein am Boden, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die letzten Sonnenstrahlen streifen den See und beleuchten das gegenüber liegende Ufer wie Scheinwerfer eine Bühne. Das Land dahinter ist topfeben, bis zum Atlantik fünfunddreißig Kilometer fast menschenleere Sümpfe und Regenwälder. Dort draußen wandelt sich das Land vollends in eine aquatische Welt. Heute morgen beim Flug nach Belize City war das gut zu sehen. Die Küste präsentierte sich fast lückenlos als Brackwassergürtel, der viele Kilometer tief das Land säumt. Mangrovenwälder beherrschen diesen Lebensraum. Salztolerant und extrem angepasst bedecken sie diese Gebiete in einer Monokultur. Von oben eine uniforme, grau-grüne Fläche, wird ihre enorme Ausdehnung noch unterstrichen durch eingestreute, zum Teil mehrere Quadratkilometer große, offene Wasserflächen

Lamanai die alte Mayastadt am New River
Die Pyramiden der alte Mayasiedlung Lamanai stehen ganz in der Nähe. Es ist uraltes Siedlungsgebiet. Die ältesten menschlichen Spuren konnten auf 1.500 v. Chr. datiert werden. Um die Zeitenwende begannen die Mayas hier Pyramiden zu bauen, und 1.000 Jahre später stand eine mächtige Stadt, in der bis zu 50.000 Menschen lebten. Der rätselhafte, absolute Untergang der Mayakultur machte aber auch vor diesem Platz nicht halt. Zum Ende des 13. Jahrhunderts erlischt die Bautätigkeit völlig. An allen anderen bisher erforschten Plätzen verschwanden mit deren urbanem Untergang auch die Menschen. Nur in dieser Stadt konnte sich eine bäuerlich Besiedelung halten. Als die Konquistadoren im 16. Jahrhundert auf der Jagd nach Gold hier auftauchten, trafen sie immer noch auf eine Bevölkerung von etwa 10.000 Menschen. Die Verfolgung durch die Spanier, vor allem aber Pocken, Masern und andere eingeschleppte Seuchen, dezimierten die Bewohner stark. Letzte Überlebende der Urbevölkerung vertrieben dann englische Siedler, die das fruchtbare Land im 19. Jahrhundert für sich okkupierten.

Einige der Kultstätten sind vom Bewuchs freigeräumt und sehr sensibel rekonstruiert. Vordergründig ist das Bemühen erkennbar, die Bauten touristisch attraktiv präsentieren zu wollen. Die äußeren Schalen der Pyramiden wurden komplett neu aufgemauert. Treppen, Terrassen, Nischen und Vorsprünge, selbst die Stuckfriese und Einzelreliefe sind originalnah wiedererstanden. Mit außerordentlichem Feingefühl sind manche Kanten und exponierte Bereiche in ihrer zerstörten Form verfestigt und konserviert worden. Die großen Kultbauten zeigen sogar von Vegetation überzogene Areale. Es sind Ruinen und so will man sie letztendlich auch zeigen. Ein kleinerer Tempel, nur an der Vorderseite freigelegt, erweckt den Eindruck es hätte jemand einen Reißverschluss gezogen und den Dschungel ein wenig zur Seite gerollt, um einen Blick in das geheimnisvolle Innere des Hügels zu gestatten. An anderer Stelle, vier Meter hoch, das Gesicht einer Gottheit. Eingeschlossen und geschützt unter meterdickem, jüngerem Mauerwerk überstand es die Jahrhunderte unbeschadet. Man hat es freigelegt und so eine, wenn nicht die Attraktion des Platzes geschaffen.

Es ist alles sehr spektakulär, sehr überzeugend und glaubwürdig. Hätte man nur den Istzustand konserviert, das Ergebnis wären große, aber doch sehr deutungsbedürftige Steinhaufen: Der Kalkmörtel, von den Pflanzen als willkommener Dünger längst aus den alten Fugen gesaugt, und die Steinsetzungen vom Wurzeldruck der Gehölze gelockert und bis zur Unkenntlichkeit verlagert. Die Assoziation mit einem zu groß geratenen Lesehaufen archaischer Bauern wäre wohl näher, als die Vision vor dem Erbe einer versunkenen Kultur zu stehen.

N 10-9 das ist der nicht unbedingt fantasievolle Name für eine der großen Pyramiden und sie ist eine Baustelle. Ein gutes Dutzend Männer versucht der Ruine ein wenig vom Glanz vergangener Tage wiederzugeben. Sie arbeiten ohne Maschinen, alles von Hand. Um in der technischen Nähe ihrer Vorgänger zu bleiben, hauen sie die Steine mit Beil und Machete in Form. An der Herstellung des Kalkmörtels hat sich im Prinzip ohnehin nichts geändert seit der erste Fellbekleidete bemerkte, dass sich manche Steine im Regen auflösen, wenn sie nur lange genug im Feuer lagen.

Und da ist noch der seltsame Stein: Eine polierte Scheibe, gut zweieinhalb Meter Durchmesser, einen halben Meter dick, die umlaufenden Kanten gerundet. Er liegt flach am Boden, alleine, ohne erkennbare Bindung zu seiner Umgebung. Von unten ist ein Hohlraum eingemeißelt. Archäologen fanden darin ein Gefäß mit großen Mengen flüssigen Quecksilbers. Es muss für die Menschen die ihn dereinst in diese Höhlung betteten ein unvorstellbar wertvoller Schatz gewesen sein. Seine Herkunft, sein Mythos, sein materieller Wert? Es waren wohl göttliche Dimensionen. Welche Rolle die Felsplatte einmal spielte? Heiligtum, Orakel, Richtplatz? Vielleicht Opferaltar auf einem Ballspielplatz? Mystizismus und Spektakel des Ballspieles waren für die Maya wie der Circus Maximus Roms und ein christlicher Gottesdienst in Einem. Gespielt wurde um Leben und Tod. Die Verlierer (manche Quellen deuten aber auch auf die Sieger) brauchten sich über die Taktik des nächst Spieles keine Sorgen mehr zu machen. Sie wurden sofort nach der Entscheidung geopfert. Siegerehrung auf Mayaart: Ein Priester schneidet mit einem Steinmesser dem Unterlegenen den Brustkorb auf, reißt ihm das Herz heraus und bietet den immer noch zuckenden Muskel mit hochgereckten Armen dem Sonnengott dar. Ringsum die jubelnde Menge, auf dem blutüberströmten Stein der leblose Körper - auf diesem Stein!?


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