13. Tag - Mahogany-Trail im Rio-Bravo-Conservation-Area
Maya Tempelanlage im Dschungel



Der Mahogany-Trail im Schutzgebiet Rio-Bravo Conservation-Area
Große Rodungsinseln säumen die Straße. Zwischen den angekokelten Stämmen und Stümpfen gedeihen Mais und Melonen, andernorts Bananen, Papayas und Zitrusbäume. Dazwischen immer wieder aufgegebene Flächen, manche mit verfallenden Gebäuden, deren Erbauer längst ein anderes Stück Land bearbeiten.

Bei der kleinen Stadt San Felipe parzellieren Felder mit sorgfältig gepflegten Monokulturen das Land, nachhaltig bewirtschaftet und flächendeckend, dann bewaldete Hügel, saftige Wiesen mit Kühen in weitläufigen Koppeln. Die Siedlungen heißen Neuendorf und Edenthal oder auch Gnadenfeld, Rosita und Neustadt. Mennonitenland. Es sind erzkonservative Menschen die vor 300 Jahren die Niederlande verließen und nach einer Odyssee um die halbe Welt hier eine neue Heimat gefunden haben. Sie rodeten die Urwälder und verwandelten die mageren, landwirtschaftlich problematischen Böden in fruchtbares Kulturland. Getreu ihrer religiös motivierten Lebensphilosophie benutzten sie dazu nur Werkzeuge und Geräte, wie sie im ausgehenden 19. Jahrhundert gebräuchlich waren.

Der Mahoganitrail zieht eine knappe Stunde durch unberührten Primärwald. Abgelegen im Landesinneren und fern von flößbaren Wasserläufen fand man in der Vergangenheit keine Möglichkeit, die wertvollen, aber recht unhandlichen Stämme an die Küste zu schaffen. Heute schützt der Staat den Dschungel mit Gesetzen und den Rangern vor Ort. Wie bei allen Nationalparks in Belize, band man auch hier von Anfang an die lokale Bevölkerung stark in das Projekt ein. Der Tourismus bringt Geld ins Land. Aufbau und Unterhalt der Infrastruktur des Schutzgebietes schaffen Jobs und Einkommen für die Menschen die an seinen Rändern siedeln. Vor allem diese handfesten, wirtschaftlichen Interessen der unmittelbar Betroffenen garantieren am wirkungsvollsten das Überleben des sensiblen Ökosystems.

Es gibt fast nur Gehölze hier, kaum Kräuter und Stauden. Auch Bromelien und Orchideen besetzen nur selten ihre Nische auf den Stämmen und Ästen. Die Pflanzen nutzen jeden Freiraum, auch den Waldboden, verwachsen aber nicht zu einem wilder Filz wie wir ihn andernorts erlebten. Man könnte sich ohne allzu große Mühe auch abseits des Pfades seinen Weg durch den Wald bahnen. Es sind überwiegend kleinere Bäume mit geringem Stammdurchmesser, die in etwa 15 Metern Höhe ein lockeres Blätterdach bilden. Darunter der Nachwuchs in allen Altersklassen. Auf den ersten Blick sehen die Gehölze irgendwie gleich aus: Die krummen Stämme, die stabilen, ledrigen Blätter im dunklen Einheitsgrün, die spitzen Winkel mit denen sich die Ästen zu Kronen teilen. Es waren die unveränderten Umweltbedingungen über einen nach menschlichen Maßstäben unendlichen Zeitraum, die die Formen nivellierten und die Kanten glätteten. Hunderttausende von Jahren Stürme, Regenfluten im Wechsel mit erbarmungsloser Sonnenglut. Hunderttausende von Jahren das gleiche Klima, die gleichen Böden, der gleiche Kampf um die spärlichen Ressourcen. Mit Versuch und Irrtum schufen die Pflanzen immer neue, angepasstere Formen und Details. Nur jeweils die Fittesten, um mit Charles Darwins zu sprechen, behaupteten sich. Wie im richtigen Leben, gibt es aber auch hier selten mehr als eine beste Lösung. Letztendlich "entdeckten" alle Arten ähnliche Erscheinungsformen und Eigenschaften als passend für diesen Standort. Wie Menschen in Uniform stehen sie jetzt da. Alle schauen irgendwie gleich aus und doch ist keiner wie der andere.

Mit einiger Mühe könnte man als Amateur vielleicht ein Dutzend verschiedener Arten in dem verwirrenden Fixierbild erkennen. Unser lokaler Guide erzählt aber von etwa 240 Baumarten, die unseren Pfad säumen. Es wird also von jedem beliebigen Standort aus mit großer Wahrscheinlichkeit unmöglich sein, zwei Bäume der gleichen Spezis zu sehen. Wie in allen alten Dschungeln stehen die Individuen der verschiedenen Arten auch hier einzeln eingestreut. Der nächste Artgenosse wächst oft Kilometer entfernt. Es ist natürlich nicht einfach unter solchen Umständen erfolgreich Nachwuchs zu zeugen. Die Bäume ließen sich aber einiges einfallen. Häufig spielen Fledermäuse die Mittler.

Dann plötzlich der gewaltige Stamm: Am Boden gut vier Meter im Durchmesser, verschwindet die leicht konische Säule etwa fünfzehn Meter höher zwischen den Kronen der umstehenden Bäume. Ein Mahagoni, 300 Jahre alt, fast ein Fremdkörper in seiner machtvollen Masse. Den Blick in seinen Wipfel verwehrt das Blätterdach der kleineren Nachbarn. Die ungeheure Biomasse die ein derartiger Stamm trägt, müsste die nicht in Fragmenten zwischen den Blättern oder wenigstens als Schatten über dem Laub erkennbar sein? Nach wenigen Metern die Antwort: Geborstene, verfallende Stammstücke, die mächtigen Äste zerbrochen, die Zweige längst vermodert. Ein Orkan hat vor vier Jahren dem alten Riesen die Krone abgerissen. Hoch über das Blätterdach ragt nun der wuchtige, astlose Stamm in den Himmel. Ein Fanal, wenn man es denn so sehen mag, für machtvolle Größe und deren Endlichkeit.

Maya Tempelanlage im Dschungel
Eine schmale Piste hat uns hierher geführt, und ein kurzer Fußmarsch, weglos durch den Wald. Es regnet. Die Bäume stehen locker, und in einem seltsam klaren Dämmerlicht ist alles gut zu sehen: Eine Tempelanlage, namenlos, unverändert, so wie man sie gefunden hat. Die Pyramiden überwuchert vom Dschungel, verwittert zu steilen, steinigen Hügeln. Die Stelen, gut mannshohe Bildersteine, umgestoßen, mit der Vorderseite auf der Erde, so wie die siegreichen Aggressoren sie dereinst stürzten. Zwei eingebrochene Löcher mitten auf dem Zentralplatz öffnen im felsigen Boden den Zutritt zu Höhlen, die seinerzeit als Vorratskeller dienten. Der Regen hat ein steinernes Messer freigespült. Es liegt am Boden, einfach so. An der größten Pyramide ein eingestürzter Stollen: Raubgräber. Auf der Jagd nach Verkaufbarem wühlten sie den Gang in das alte Bauwerk. Beute machten sie keine mehr, hier schaufelten sie sich nur noch ihr Grab. Man ließ sie liegen, so wie der niederbrechende Schutt sie begaben hat.

Eine seltsame Melancholie liegt über dem Ort. Ist es Erhabenheit, die der Ire Edmund Burke als "Stille mit einem Anflug von Schrecken" definierte? Oder halte ich mich lieber an die Inupiat, einem Indianerstamm im Norden Alaskas? Die haben ein eigenes Wort für diese Empfindungen: "uniari". Es bedeutet etwa "banges Unbehagen vor der überwältigenden Macht der Natur". Oder trifft es der Journalist und Buchautor Peter Seewald besser wenn er von den "Schwingungen des sakralen Ortes" spricht? Es sind starke Empfindungen und Gefühle die mich bewegen, sensibel und verletzlich. Nicht einfach darüber zu schreiben. Aber zum Glück kann man ja rezitieren.


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