15. Tag - Die Maya auf Yucatán
Chichén Itzá - Das Ballspiel -
Die heiligen Bücher - Untergang der Maya



Die Bauten von Chichén Itzá
Graue Steine, rötliche und ockerfarbene, mit schwarzen Streifen und Flecken dort wo sich die Feuchtigkeit etwas länger hält, behauen und geglättet, winkelgenau aufgetürmt zu gewaltigen Stufenpyramiden, Tempeln, Opferplattformen, Wohn- und Kultstätten. Massige Monumente aus mehreren Epochen. [01]

Große Mengen Steine umschließen relativ kleine Räume, so als hätten die Menschen sich damals an natürlichen Höhlen orientiert. [02] Die Gebäude zeigen bis zur Höhe der Eingänge oft schmuckloses Mauerwerk aus sorgfältig gefügten Quadern unterschiedlicher Größe. Umso beeindruckender die Fassaden darüber, mit ihrer geradezu überbordenden Formenfülle und Vielfalt an Steinmetz- und Stuckarbeiten. In zahllosen Variationen präsentieren sich Gitter, Simse und geometrische Muster neben Tier- und Göttermasken. Die alten Baumeister agierten gerne mit einfachen, kubischen Ausgangsformen. Man könnte vereinfacht von steinernen Ziegeln sprechen, mit unterschiedlichsten Kantenlängen, die sich zu den polymorphen Flächen fügen. Selbst die vollplastischen Masken, Jaguarköpfe und Schlangen an den Gebäudekanten, erinnern irgendwie an Laubsägearbeit - als seien sie aus dicken Platten geschnitten. [03]

Auf quadratischem Sockel von knapp sechzig Metern Kantenlänge türmen sich neun nach oben kleiner werdende Plattformen zur 30 Meter hohen "Pyramide des Kukulkan". Breite Treppen führen auf allen vier Seiten steil zu dem Tempel auf der obersten Plattform. Jede dieser Treppen zählt 91 Stufen, zusammen also 364. Zählt man die eine Stufe dazu, die von der obersten Plattform in den Tempel führt, kommt man auf 365: Für jeden Tag des Sonnenjahres eine Stufe. [04]

Zwei Flanken der Pyramide beließ man so, wie sie dereinst aus dem Dschungel gegraben wurden. Die anderen sind sorgfältig restauriert, auch die beiden Klapperschlangen die die nördliche Treppe flankieren. Die Schwanzenden dieser Tiere formen die seitlichen Pfosten und den Firstbalken des Tempeleinganges. Ganz unten, vor der ersten Stufe, erheben sie ihre Häupter: Mit geöffnetem Maul, gut eineinhalb Meter hoch, vollplastisch gearbeitet. [05] Als Leiber zwischen Kopf und Schwanz dienen den Reptilien aber nur die breiten, glatten Brüstungen der seitlichen Treppenabschlüsse, die sich mit einer glatten Mauer auf die Pyramidenstufen stützen. Eine doch etwas anspruchslose Lösung, sollte man meinen, auch für Baumeister mit kubistischen Vorlieben.

"Zu schlicht", befand auch der mexikanische Archäologe Luiz E. Arochi, angesichts der enormen mathematischen und astronomischen Möglichkeiten der alten Baumeister. El Castell, wie die Pyramide auch genannt wird, orientiert sich ganz offensichtlich an astronomischen Vorgaben, nicht nur der Stufen wegen und der dazu passenden Jahrestage. Dazu noch Kukulkan, die gefiederte Schlange: Zuständig für Regen und Fruchtbarkeit, war sie immerhin neben Leopard und Adler eine der wichtigsten tierischen Gottheiten. Arochi. löste das Rätsel, und seine Ergebnisse bieten uns einen kleinen Blick auf Rieten und Mystizismus der untergegangenen Kultur, vor allem aber auf das unglaubliche Können Ihrer Baumeister.

Zur Tag- und Nachtgleiche, am 21. März und am 22. September zeichnet ab etwa drei Uhr nachmittags die Sonne mit Licht und Schatten die Windungen eines vierunddreißig Meter langen Schlangenkörpers an die Außenwand der Treppe und verbindet so den Kopf mit dem Schwanz an den beiden Enden der Balustrade: Kukulkan windet sich über die Stufen der Pyramide herab zur Erde. [06]

Die Sonne brennt zu diesem Zeitpunkt frontal in die Westflanke der Pyramide, während die Nordseite noch völlig im Schatten liegt. In dieser, der Nordflanke treffen an den beiden Tagen die Strahlen des um die Pyramide wandernden Sonnenlichts nur die Treppenwange und beleuchtet sie völlig gleichmäßig über die ganze Länge zwischen Kopf und Schwanz der Schlange. Dabei zeichnen aber die Terrassenstufen der nordwestlichen Pyramidenkante sieben beleuchtete Dreiecke an die Oberkante dieser Mauer. Der Schatten darunter formt mit verblüffender Deutlichkeit den Schlangenkörper, der sich mit dem fortschreitenden Sonnenstand sogar noch zu bewegen scheint. Das symbolträchtige Herabsteigen der „Gefiederten Schlange“ kann man wohl in Zusammenhang mit Riten vermuten, die landwirtschaftliche Zyklen einleiteten.

Ein anderes, wohl noch verblüffenderes Phänomen wartet noch auf seine wissenschaftliche Deutung: Klatscht man, auf den untersten Stufen der Pyramide stehend in die Hände, so hört man als Echo deutliches Vogelgezwitscher. Aber nicht die Stimme irgendeines Vogels. Es ist der Gesang des Quetzals, des heiligen Vogels der Maya. Seine Federn schmückten dereinst nur Könige. Steigt man die Stufen der Pyramide höher, klingt das Echo wie Regentropfen die auf eine Wasserfläche fallen. Eine Hommage an den Regengott?

Das Ballspiel
Etwa achtzig Meter weit, über die ganze Länge des Platzes hinweg, können zwei Personen miteinander plaudern, ohne die Stimme zu erheben oder gar zu schreien. [07] Man versteht jedes Wort in voller Klarheit, so als stünde man sich auf Armeslänge gegenüber, und Händeklatschen wird als harter, schnalzender Knall von den hohen Mauern zurückgeworfen - auch der große Ballspielplatz hat seine akustischen Phänomene.

Aber was passierte genau auf diesem Platz, damals, als Chichén Itzá noch eine der Mächtigen war unter den großen Städten auf Yucatán? Das Ballspiel war stark durchwoben von symbolträchtigen und rituellen Elementen. Über gesicherte Fakten zu dem Spiel und sein Umfeld verfügen wir jedoch kaum. Der Spielverlauf, seine Regeln, die Anzahl der Spieler, wie wurde der Sieger ermittelt? Kämpften die Akteure nach lokalen, festen oder variablen Gepflogenheiten? Gefundene Bälle aus Naturkautschuk zwischen Tennis- und Fußballgröße lassen auch an verschiedene Ballspiele mit unterschiedlichen Regeln denken. Baute man, so man es sich leisten konnte, jedem wichtigen Gott seine eigene Arena, um darauf nach dessen Regeln zu spielen? Chichén Itzá hatte immerhin neun solcher Plätze und es ist nicht anzunehmen, dass Terminzwänge beim Spielbetrieb deren Bau initiierten. Wir tappen hier tief im Ungefähren. Unsere Kenntnisse stützen sich überwiegend auf Interpretationen weniger Zeichnungen und in Stein gehauener Kartuschen und Reliefe.

Gut dokumentiert sind nur die mythologischen Wurzeln des Spieles. Sie reichen tief in die Sagenwelt der Maya. Popol Vuh, ein Maya Buch aus postkolumbianischer Zeit, erzählt die Sagen und Epen vom Anfang ihrer Zeit, der Unter- und Oberwelt mit der Mittelwelt der Menschen. Es erzählt von den Göttern und den ersten aus Mais erschaffen Menschen und es erzählt die Geschichte von Hunahpú und Xpalanqué, den Heldenzwillingen. Die beiden begnadeten Spieler besiegten im Ballspiel die Herren der Unterwelt und töteten sie nach trickreichen Manövern. Sie inszenierten dabei rund um das Spiel, eine verwirrende Abfolge von eigenem Sterben und ihrer Wiedergeburt. Die siegreichen Zwillinge stiegen letztendlich als Sonne und Mond in die Oberwelt auf. Mit dieser Tat rächten sie auch den Tod von Vater und Onkel. Die waren, als beste Ballspieler ihrer Zeit, bereits vor der Geburt der Zwillinge, gegen die Herren von Xibalba angetreten und verloren dabei ihr Leben.

Um Tod und Leben ging es bei den Spielen immer. Das Leben war der Einsatz, am Schluss wurde geopfert. Wer geopfert wurde ist aber ziemlich unklar. Waren es die Verlierer, weil sie eben verloren haben? Oder doch die Sieger? Freiwilliges Sterben für die Götter galt als ehrenvoll und versprach Wiedergeburt und den Direktzugang zur Oberwelt. Für die eine wie für die andere Versionen finden sich gute Argumente in der Saga von den Heldenzwillingen. Dass tatsächlich Spieler geopfert wurden scheint ein Fresko in Chichén Itzá zu belegen. Es zeigt einen enthaupteten Spieler in voller Ausrüstung, aus dessen Hals neues Leben quillt. Ihm gegenüber steht ein anderer mit dem abgeschnittenen Kopf in der Hand. [08]

Die Sieger zu opfern - es war wohl nicht möglich, zumindest nicht bei jeder Veranstaltung. Ballspiele fordern Geschicklichkeit von den Akteuren, damals wie heute, und Training wenn sie andere damit begeistern wollen. In die Spitze, zu den Stars, schaffen es immer nur wenige. Der permanente Verlust der Besten nach jedem Spiel hätte mangels Masse in kürzester Zeit die Attraktivität der Spiele auf ein Niveau gedrückt, das keinen Gott mehr vom Hocker gerissen hätte, von den Zuschauern ganz zu schweigen. Aber das permanente Köpfen der Verlierer birgt auch Risiken, wird doch der Nachwuchs, die Größen von morgen, bereits stark ausgedünnt.

Vielleicht zeigt die oben erwähnte Enthauptungsszene den Weg aus diesem Zwiespalt? Zwischen den beiden Protagonisten ist überdimensioniert ein Ball abgebildet mit eingemeißeltem Kopf, dem man die Haut abgezogen hat. Andernorts sieht man in Bildern solche Bälle über die Treppen auf das Spielfeld rollen. Dort sind aber zusammengerollte Männer in den Stein geritzt. Dokumentierten die Maya so den Einsatz des Spieles? Spielte man platzspezifisch um vorbestimmte Einsätze, etwa auch das Leben eines hochrangigen Kriegsgefangenen? Vielleicht auch um einen Bürger aus der eigenen Stadt, den ein tiefer Glaube trieb, oder der seine Spielleidenschaft auf höchstem Niveau ausleben wollte? Denkbar ist auch eine Art männlicher Cheerleader um dessen Leben gelegentlich gespielt wurde.

Die Spielregeln? Eine solide Aussage dazu ist nicht möglich, die Informationen sind einfach zu dürftig. Es ist als wollte man über die Regeln unserer Hand- und Fußballspiele schreiben, als Information aber nur die Spielfelder hätte und dazu eine handvoll Bilder aus der Montagsausgabe einer Tageszeitung.

Malsteine auf einigen Plätzen und die Schlaghölzer am Gürtel von Spielern lassen vermuten, dass gelegentlich eine Art Baseball gespielt wurde. Dazu würden dann auch die kleinen Kautschukbälle passen die man gefunden hat.

Zentrale Bedeutung errang offenbar nur das Spiel mit den großen Bällen. Es standen sich dabei zwei oder drei Spieler je Mannschaft gegenüber. Der Ball sollte vermutlich irgendwie durch die Öffnung der steinernen Ringe gekickt werden die beiderseits des Platzes in gut sieben Meter Höhe aus der Mauer ragten. [09] Die Männer trugen stabile Schutzkleidung ähnlich unseren Eishockey-Mannschaften und bewegten den Ball nur mit Knie, Ellenbogen. Hüfte oder Kopf. Zumindest glaubt man das aus den wenigen Bildern mit Spielszenen herauslesen zu können.

Die alten Schriftkundigen wollten aber wohl kaum eine Spielanleitung in ihren Einzelbildern festhalten. Wahrscheinlich suchten sie, wie auch unsere Sportreporter, nach den attraktivsten und ungewöhnlichsten Szenen, den Highlights für ihre Bilder. Das Spielgerät bestand aus Vollmaterial, ein runder Kautschukklumpen, gefertigt aus dem Milchsaft des Guayulestrauches, nicht vergleichbar mit unseren luftgefüllten Bällen. Die Kugel hatte Gewicht. Wie soll man sich das aber vorstellen: Ein körperbetontes Kampfspiel, der schwere Ball, die filigranen Techniken der Spieler mit ungünstiger Kraftübertragung, der senkrecht und hoch hängende Zielring über der Zuschauerrampe mit seiner 70 cm Öffnung, der großflächige Spielplatz? Da passt Einiges nicht, vor allem das große Spielfeld, die massive Schutzkleidung und die filigrane, kraftlose Behandlung des schweren Balles.

Vielleicht hilft meien Beobachtung und Überlegung ein wenig weiter: Sämtliche Spieler in dem großen Relief hier in Chichén Itzá halten einen etwa 40 cm langen Klotz mit geschnitztem Jaguarkopf und angedeutetem Fellmuster an einem massivem Griff in der Hand. [10] Ein derart wuchtiges Schlaggerät hätte ein rasantes Laufspiel mit Pässe über größere Entfernung hinweg ermöglich. Dazu der finale Kick durch den Ring, immer noch schwierig genug, aber im technisch Machbaren. Selbst die sonst nur unbefriedigend interpretierbare, massive Schutzkleidung wird sinnvoll und notwendig. Ein unglücklicher Treffer mit dem Holzklotz hätte genügt dem Gegner die Knochen zu brechen oder ihn zu erschlagen. Hier kämpften aber keine Gladiatoren à la Rom, hier ging es primär um sakrale Riten. Die Heroen wurden noch gebraucht, später für die Opfer.

Die heiligen Bücher
In Codices, ihren heiligen Büchern, sammelten die Maya ihr gesamtes Wissen. Nicht nur ihre Mythen, Sagen und Legenden über Götter und den Anfang ihrer Zeit finden sich darinnen. Kalender mit genau datierten Sonnen- und Mondfinsternissen zeugen vom erstaunlichen, astronomischen Wissen ihrer Schreiber ebenso, wie Tabellen mit den Daten der Venus- und Marsumläufe, exakt berechnet auf Jahrzehnte in die Zukunft. Aber auch Heilpflanzen und medizinische Hilfe fanden breiten Raum, ebenso Anweisungen für Zeremonien und allgemeine Ratschläge zur Bewirtschaftung des Landes oder der Bewältigung von Alltagsprobleme.

Geschrieben waren die Bücher auf Amate, einem hochwertigen Papier, auch nach unserem Verständnis. Gewässerte und zu einer filzigen Fläche geklopfte Baststreifen eines Feigenbaumes (dem Ficus cotinifoli) grundierte und glättete man beidseitige mit Kreideschlämme (Stuckmörtel). Die mehrere Meter langen und 10 bis 20 Zentimeter breiten Streifen wurden zu einem Leporello gefaltet, sodass quadratische oder auch rechteckige Seiten entstanden. Holzdeckel und (oder?) Jaguarfell schützten die Bücher.

Das Leben und Sterben der Maya, ihre Umwelt, ihr gesamtes Denken und Handeln war zutiefst von Religiosität durchdrungen. Sonnenschein, Krankheit, Geburt, Missernten, Glück oder Unglück was immer geschah, man unterstellte göttliches Wirken. Die Anzahl der Maya Gottheiten war nicht zu knapp und der Bedarf der Menschen an geistigem Beistand groß. Da die nötige Hilfe zu geben, war Aufgabe der Priester, die sich mit ihrem Rat, ihren Anweisungen und Prophezeiungen an den Texten der heiligen Bücher orientierten. Die Codices waren immer dabei, unverzichtbar. Ohne sie wäre das System kollabiert, so wie unser Rechtssystem kollabieren würde, nähme man den Juristen ihre Gesetzesbücher weg. Aber genau das ist diesem Volke passiert, und die Katastrophe hat einen Namen - Diego de Landa. [11]

Den spanischen Mönchen waren die heiligen Bücher schon lange ein Dorn im Auge. Zwanzig Jahren lang, seit der brutalen Unterwerfung durch die Konquistadoren, versuchten sie schon den Volksglauben mit seinen ketzerischen Rieten auszumerzen, um die Herzen der Menschen frei zu bekommen für den einen, den wahren Glauben. Aber nur mit mäßigem Erfolg. Bis zum 12. Juli des Jahres 1562.

Vor dem Franziskanerkloster von Mani, [12] verschaffte an diesem Tage Diego de Landa, der spätere Bischof von Yucatán, dem Christentum im Lande zum endgültigen Durchbruch. Nach einem inquisitorischen Tribunal (Autodafe), ließ er den zusammengetriebenen Indianern die Haare vom Kopfe schneiden und in einem furchtbaren Blutbad alle erschlagen, die nicht ihren alten Göttern abschworen. Um den noch Unschlüssigen die Entscheidung zu erleichtern, verstümmelte man vor aller Augen die Unbelehrbaren auf das Grausamste und quälte sie zu Tode. Man scheute um der guten Sache willen weder Folter noch Scheiterhaufen oder Galgen.

In einen besonders großen Scheiterhaufen vor dem Konvent ließ de Landa dann alles werfen was die Menschen verehrten, ihnen bei den Zeremonien diente, heilig und wichtig war. Ihre rituellen Geräte, Statuen und Götterbilder verglühten unwiederbringlich in den Flammen. Der heilige Zorn der frommen Patres traf inmitten dieser Orgie von Blut und Feuer besonders die Mayapriester und ihre unersetzlichen Handschriften.

Diego de Landa nutzte die Gelegenheit, neben den geistigen Führern auch die verhassten und wohl auch gefürchteten Bücher zu vernichten, um so den gotteslästerlichen Rieten der Urbevölkerung die Grundlage zu entziehen. Er musste sich später für die Morde vor einem spanischen Gericht verantworten. Doch mit Folter und Scheiterhaufen etablierte sich in der Folge der Katholizismus entgültig im Lande. Die spanische Inquisition, in deren Namen auch De Landa handelte, wütete ungehindert weiter gegen die Ketzer und Götzendiener, ihre Kultstätten und ihre Bücher.

Obwohl wir ihre Glyphenschrift weitgehend lesen können, ist unser Wissen über die Maya lückenhaft. Wir kennen ihre Zahlensysteme, ihre Kalender und astronomischen Berechnungen, können die Chronologien und Lobpreisungen gut entziffern, welche die großen Herren, zu eigenem Ruhme, in Stein schlagen ließen. Aber ihr Alltag, der Ablauf und die Bedeutung ihrer Zeremonien, soziale Bindungen, moralische Werte, wir können nur deutend und grübelnd ihre Reliefe, Fresken und Gräber durchstöbern. In den Codices da standen die Antworten. Nach der Befriedung des Landes ließen Mönche einige der alten Bücher neu schreiben oder schrieben sie sogar selber, wie der spanische Pater Francisco Ximinéz die zweisprachige Mythensammlung Popol Vuh. Natürlich ist es spekulativ wie stark dabei christliche Interpretationen Eingang gefunden haben.

Präkolumbianische Bücher existieren nur noch wenige. Aus dem Wolkenland, wie die Mixteken ihre Süd-Mexikanische Heimat in den Bergen nannten, sind acht davon erhalten. Darunter der besonders prächtige Codex Zouche Nuttall, mit dem Epos über "Acht Hirsch Jaguarkralle [13] Der 11,41 Meter lange Streifen aus gekalkter Hirschhaut erzählt in eindrucksvollen Bildern und knappen Texten vom Aufstieg und Leben des Priestersohns zum Gottkönig über Tilantongo und seinem Tod auf dem Opferstein.

Nur vier Mayabüchern schafften es bis in die Gegenwart. Von dreien existieren aber nur Fragmente. Alleine der "Codex Dresdensis", wie er nach seinem Aufbewahrungsort benannt wird, ist vollständig erhalten. Konserviert und zwischen Glasplatten geschützt, präsentiert die Sächsische Landesbibliothek in Dresden die wertvollen Blätter ihren Besuchern. [14]

Der Untergang ihrer Stadt-Staaten
Über den rätselhaften Untergang ihrer Stadtstaaten zwischen den Jahren 750 und 950 n.Ch. verraten uns die Maya aber auch in ihren Codices nichts. Es war wohl nicht die rechte Zeit Bücher zu schreiben oder Wichtiges in Steine zu meißeln. Der Kollaps traf flächendeckend fast die ganze Halbinsel Yucatán. Von ihrer Nordküste bis Belize und Guatemala tief im Süden reduzierte sich die Bevölkerung dramatisch. Gebiete in denen Millionen von Menschen lebten waren am Beginn des ersten Jahrtausends völlig entvölkerten. Ihre prächtigen Bauwerke verfallen, versunken in der wuchernden Wildnis.

Die Frage nach dem warum, ist immer noch eines der großen Rätsel der Archäologie. Satellitengestützte Forschung, wie die Arbeiten des NASA Archäologen Tom Sever vom Marshall Raumflugcenter, kombiniert mit klassischer Archäologie und geologischen Befunden, beginnen sich aber zu einem überzeugenden Szenario zu verdichten:

Gesichert ist eine dramatische Bevölkerungsexplosion in den Jahren vor dem Desaster. Der stetig steigende Nahrungsbedarf, vor allem an Mais aber auch an Bohnen, Kürbissen und anderen Feldfrüchten, zwang die Bauern, immer größere Urwaldflächen niederzubrennen. Die Asche der verbrannten Vegetation brachte für wenige Jahre Fruchtbarkeit, dann musste neuer Dschungel gerodet werden. Die Kochstellen und Kalkbrennereien verschlangen das Holz der Bäume und die Bauern hackten nieder und verbrannten den Rest. Am Ende war Yucatán fast völlig entwaldet. Bei Pollenanalysen in den Sedimentschichten mexikanischer Seen fanden sich für die Zeit um 800 n.Ch. keine Pollen mehr von Bäumen, dafür aber deutliche Zeichen einer verstärkten Bodenerosion.

Aktuelle Feldstudien belegen in großflächig durch Brandrodung entwaldeten Landschaften Südamerikas eine deutliche Austrocknung der Böden. Die Niederschläge gehen zurück und die Temperaturen steigen. Klimaforscher der NASA um Bob Oglesby sehen mit Computer-Simulationen ein vergleichbares Szenario auf Yucatán zwischen dem neunten und elften Jahrhundert. Sie dürften damit den finalen Auslöser für den Untergang der Mayakultur gefunden haben. Analysen der Sedimentschichten im Meer und auch von Bohrkernen die der Glaziologe Lonnie Thompson aus dem Eis des peruanischen Quelccaya Icecap gewann, präzisieren den Zeitpunkt der Apokalypse: Bereits für das neunten Jahrhundert fanden sich Spuren von drei extremen Trockenperioden. In dem bereits stark dehydrierten Land fiel jeweils über mehrere Jahre in Folge so gut wie kein Regen.

Soweit die Maya ihre Tempelstädte nicht an Flüssen oder Seen erbauten, war die Wasserversorgung in dem verkarsteten Land von fundamentaler Bedeutung. Während der trockenen Jahreszeit herrschte in der Region permanente Wasserknappheit und der Grundwasser-Spiegel, damals in 150 Meter Tiefe, war mit Brunnen unerreichbar. Natürliche Dolinen, [15] Wasserlöcher und Quellen genügten den Anfängen, konnten aber den Bedarf einer rapide wachsenden Bevölkerung nicht decken. Für den privaten Verbrauch, aber vor allem für die Bewässerung der Äcker sammelte man den Überfluss der Regenzeit in Zisternen und teils riesigen, künstlichen Becken. Das Wasser musste reichen, bis ein halbes Jahr später, mit den ersten, schweren Gewitterwolken der große Regen zurückkam.

Die nachlassenden Niederschläge schufen ein apokalyptisches Szenario. Verhungern und Verdursten wurden zu einer realen Bedrohung. In Gräbern dieser Zeit fanden Archäologen wiederholt menschliche Knochen mit deutlichen Zeichen starker Unterernährung. Die ausbleibenden Regenzeiten über mehrere Jahre in Folge, brachten dann für Millionen von Menschen den Tod und für die großen Städten Untergang und Vergessen. Als die Spanier im Jahre 1517 Yucatán erreichten fanden sie nur noch an der Küste und später im Hochland von Guatemala einige kleinere Maya-Städte, in denen die Reste der Urbevölkerung weiter den alten Göttern opferten.

Warum aber war die Vernichtung so absolut? Warum keine Ausnahmen? Warum auch Städte wie Piedras, Palenque und Yaxchilán die an Flüssen und Seen gelegen, immer genug Wasser hatten? Warum verließen die Menschen Dos Pilas obwohl es hier nie an Wasser mangelte und die Sedimentproben aus der Zeit ihres Untergangs uns heute noch von gesunden Böden und intakten Wälder um die Stadt berichten?

Das dramatische Szenario um das vertrocknende Land erscheint plausibel und nachvollziehbar. Die Forscher sind sich heute jedoch weitgehend einig, dass die staatstragenden Strukturen der Mayastädte bereits lange vorher, über Jahrzehnte hinweg, immer mehr erodierten, und der finale Schlag eine ihrem Ende entgegentaumelnde Kultur traf. Deren Eliten, Gefangene in Jahrhunderte alten Denkmustern, hilflos in einer aus den Fugen geratenden Welt, die sich plötzlich nicht mehr an die Spielregeln hielt. Die soziale Balance und letztendlich das Gottkönigtum wurden in ihren Grundfesten erschüttert und zerstört.

Die rasant wachsende Bevölkerung und immer häufigere Missernten überforderten die natürlichen Ressourcen. Es fehlten nicht nur ausreichend Wasser und Lebensmittel, auch Holz und Baumaterial wurden zur Mangelware. Die Bauern aber auch die Eliten in ihren Palästen, erlebten diese Schwierigkeiten nicht als Naturkatastrophe. In ihrem Verständnis zeichnete sich ein Problem mit den Göttern ab. Aber Probleme gab es mit denen in der Vergangenheit immer wieder mal und die Währung war bekannt, in der man deren Wohlwollen wieder erkaufen konnte: Blut, möglichst viel und möglichst wertvolles menschliches Blut, wobei dessen Wert sich an der sozialen Stellung der Getöteten maß. In hartnäckigen Fällen mussten auch früher schon mal Zeremonien wiederholt oder verschärft werden. Man opferte halt noch mal einige Gefangene und wenn's denn sein musste das Ganze noch einmal. Letztendlich konnten die Herrschenden sich des Erfolges sicher sein. Mit der gleichen Verlässlichkeit mit der sie Sonnen- und Mondfinsternisse vorhersagten, schafften es ihre Priester Jahr für Jahr aufs neue, dass Chaac, [16] der manchmal etwas zögerliche Gott des Regens und Ackerbaus, wieder begann die Erde mit Wasser und Fruchtbarkeit zu tränken.

Der Bedarf an menschlichen Opfern war groß, das Verlangen der Götter unersättlich. Dabei zeigten diese sich durchaus anspruchsvoll in der Auswahl der Opfer und der Art wie sie zu töten sind. Doch ein Bedürfnis einte sie, sie brauchten das Blut der Opfer ohne das sie selber nicht überleben konnten. Die Menschen brauchten die Götter und die Götter die Menschen. Wie die Erde bewässert werden musste um Früchte zu tragen, so mussten die Götter mit Blut getränkt werden um den Menschen all das zu geben, das nur Götter geben konnten. Die Priester opferten deshalb vor allem Blut. Sie selber bohrten sich in nächtlichen Liturgien Dornen in den Leib, schnitten sich mit Obsidianklingen tiefe Wunden, töteten sich symbolisch in endlosen Widerholungen. Wenn die Umstände es forderten, stach selbst der König sich einen Rochen- oder Agavenstachel in das Fleisch um vom eigenen Blut zu opfern. War noch mehr von Nöten, trieb er sich öffentlich den Stachel durch die Genitalien, um so auch sein wertvollstes Blut den Götter zu Füßen zu legen.

Bedeutungsvoller als diese kultischen Verletzungen waren die Menschenopfer. Freiwillige legten sich auf die Opfersteine und ließen sich bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust reißen, Kinder verbluteten regelmäßig für die Götter und junge Frauen ertränkte man, wie auch hier in Chichén Itzá, mit wertvollstem Schmuck behangen, im Wasser abgrundtiefer Dolinen. Bei manchen Liturgien zog man geköpften Opfern die Haut vom Leibe. Ein Priester schlüpfte hinein und trug sie wie einen Mantel.

Die Hauptlast des Blutzolls aber trugen die Nachbarn, die Bewohner der Tempelstädte von nebenan. Das Land war politisch in kleinste Einheiten zerfallen. Jeder bekriegte jeden und versuchte möglichst viele, möglichst hochrangige Gefangene zu machen. Nachschub für die eigenen Altäre und die Bevölkerung. Die noch zuckenden Herzen für Chaac, und folgt man spanischen Quellen, die leblosen, über die Treppen nach unten gestoßenen Körper, für die Kochtöpfe. In stabileren Zeiten pflegte man auch eine ökonomischere Variante dieser blutigen Folklore. Man beließ die Unterlegenen in ihrer Stadt. Sie mussten aber fortan den Siegern Tribut entrichten: Stoffe, Kleidung, Mais, Waffen, Schmuck und Menschen für die Blutopfer.

Die fortschreitende Versteppung beschädigte das Ansehen der Herrschenden immer mehr. Diese hatten, auch nach eigenem Verständnis, die Verpflichtung, aber auch die Mittel diese Probleme zu lösen. Verfügten sie doch über das geballte Wissen ihrer machtvollen Kultur und die Möglichkeiten selbst die Götter zu manipulierten. Es hat ja seit Menschengedenken auch immer geklappt. Plötzlich aber war nichts mehr so wie es immer war. Hilflos den brutalen Veränderungen ausgeliefert und immer distanzierter und kritischer beobachtet von den Bauern und Handwerkern, klammerten sich die Gottkönige an die Rezepte der Vergangenheit: Tempel bauen und opfern, opfern, opfern. Getrieben vom allgegenwärtigen Mangel, mutierten ihre Kriege zu Raubzügen um Beute und elitäre Gefangene. Priester, Krieger, Schreiber, Adel, Könige, man besiegte und opferte sich gegenseitig. Doch die immer drängenderen Probleme bekamen sie nicht mehr in den Griff, ihre bluttriefenden Götter haben sie verlassen. Das Volk rebellierte, es kam zu Plünderungen. Die hungernden Menschen verließen die Städte.

Es lebten aber nach wie vor viel zu viele in dem ausgelaugten Land und sie hatten keine Chance mehr. Aufwändige Gemeinschaftsprojekte hätten, wenn überhaupt, die Landnutzung etwas stabilisieren können. Es gab aber keine Autorität mehr, die die nötigen Arbeitskräfte rekrutieren und die Projekte organisieren hätte können. Ohne das Wissen und die Macht der Oberschicht konnten weder Berghänge terrassiert, noch neue Kanäle oder Wasserreservoire gebaut werden. Selbst bestehende Anlagen verfielen. Die abnehmenden Niederschläge bedrängten die nun ländliche Bevölkerung immer stärker in ihrer schieren Existenz. Eine einzige ausfallende Regenzeit hätte auf Yucatán bereits die meisten dort lebenden Menschen getötet. Und dann regnete es mehrere Jahre hintereinander nicht mehr...


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