4. Tag - Zur Refugio Jose F. Ribas am Cotopaxi



Nationalpark Cotopaxi
Auf den fruchtbaren, vulkanischen Böden südlich von Quito erzeugt die überwiegend indigene Bevölkerung einen Großteil jener Lebensmittel, die von den Bäuerinnen in den Straßen und auf den Märkten der Stadt feilgeboten werden. Die Erlöse sind zwar bescheiden, aber die guten Erträge der Felder und die räumliche Nähe zu den Kunden bringen Geld in die Region. Die eine oder andere Familie erreichte bescheidenen Wohlstand, der sich in einer Fernsehantenne am Dach oder einem Pik Up vor der Hütte auch nach außen zeigt. Gewohnt wird aber ausschließlich in einfachen Hütten, die als Streusiedlung die ganze Ebene sprenkeln. Jeder baut seine Behausung auf dem eigenen Land. Manche kaufen gebrannte Ziegeln für die Wände und Wellblech für das Dach. Andere verwenden traditionelle Materialien. Dicke Gras- oder Palmblattdächer schützen dort Lehmwände und Bewohner gleichermaßen vor Wind und Regen.

Der Vulkanismus hat hier einen Namen: Cotopaxi. Die Glut aus der Tiefe hat aber nicht nur die monströse Erhebung aufgetürmt, auch die Täler zeigen immer deutlicher die Handschrift des gewaltigen Feuerberges. Wie aufgesetzte Hütchen auf einem Spielbrett sitzen einzelne, etwa zweihundert Meter hohe, ebenmäßige Kegel auf der großflächigen Ebene. Kurzlebige, also über einige hundert Jahre aktive Magmakamine haben sie vor Urzeiten aufgetürmt. Sie sind für die Bewirtschaftung zu steil und stehen mit ihrem dichten Busch- und Baumpelz wie Fremdkörper inmitten der Wiesen und Feldern. Der ganze Talboden ist verfüllt und eingeebnet von dicken Ablagerungen alter Lahares. Diese apokalyptischen Muren werden vom Wasser der rasch schmelzenden Eiskappe des ausbrechenden Berges gespeist und sie schwemmen Schutt und Asche von den Hängen in die Täler. Das passiert immer wieder, seit Mitte des 18. Jahrhunderte etwa 50 mal. 1877, bei einer besonders schweren Eruption, rasten die Schlammlawinen bis zu 100km weit durch die umliegenden Täler. Latacunga, heute ein Verwaltungszentrum an der Panamericana, wurde damals vollständig zerstört.

13. November 1985: Der Nevado del Ruiz in Kolumbien, nach dem Cotopaxi der zweithöchst aktive Vulkan der Erde, demonstriert der Welt vor laufender Kamera die archaische Macht dieser Schlammlawinen. 2½ Stunden nach dem Ausbruch erreicht das Inferno die 70 km entfernte Stadt Armero. Eine dickflüssige, aschgraue Brühe türmt sich an Engstellen zur 40-Meter-Welle, die je nach Gelände mit bis zu 60 Stundenkilometern auf die Stadt zustürzt. Mehr als 5.000 Gebäude werden zerstört und 25 bis 30.000 Menschen sterben. Die TV-Bilder zeigen im Schlamm treibende Felsbrocken, zum Teil groß wie Garagen und Menschen die zwischen triftenden Trümmern verzweifelt um ihr Leben kämpfen.

Grauer Himmel, trübes Licht, schlecht für Fotos, und am Eingang zum Nationalpark beginnt es auch noch zu nieseln. Die Militärregierung ließ hier in den Siebziger-Jahren die völlig entwaldeten Flächen wieder aufforsten. Man entschied sich für standortfremde Kiefern. Anders als für ursprünglich hier heimischen Bäume standen die benötigten Mengen an Koniferensetzlingen problemlos zur Verfügung. Auch wirtschaftlich erwartete man positive Bilanzen. Die absterbenden unteren Äste bieten fast von Anfang an Brennholz für die Bevölkerung des Umlandes und der Verkauf des anfallenden Schwachholzes bei Durchforstungsarbeiten deckt in etwa die laufenden Kosten. Nach 80 bis 100 Jahren würde der finale Verkauf der wertvollen, geraden Stämme nicht nur das investierte Geld mit Zins und Zinseszins zurückbringen, auch die Neuanpflanzungen wären finanziell abgesichert. Vor wenigen Jahren bahnte sich dann ein Problem an, das die Forstleute nicht mehr in den Griff bekamen. Ein Rostpilz befiel die Bäume und droht die Bestände flächendeckend zu vernichten. Durch großflächige Kahlschläge versucht man wenigstens die bescheidenen Stämme für den Verkauf zu retten. Da die sehr schwierige Anzucht heimischer Gehölze noch immer im experimentellen Bereich steckt, setzt man bei der Wiederaufforstung erneut auf fremde Baumarten. Die dominant gepflanzten rasch wachsenden Eukalyptusarten gelten als sehr resistent gegen Schädlinge aller Art, und dank ihres schnellen Wachstums sind in kurzer Zeit große Holzmengen zu erwarten. Eukalyptusholz neigt jedoch stark zu tiefen Rissen beim Trocknen und ist deshalb für Sägewerke praktisch unbrauchbar. International wird es fast ausschließlich zur Papierproduktion verwendet. Seit kurzem kommt in den großen Eukalyptusplantagen Brasiliens ein von Deutschen entwickeltes Verfahren zum Einsatz das hier Abhilfe verspricht. Die Stämme werden unter hohem Druck in Dampf förmlich durchgekocht. Aus derart vorbehandeltem Holz gewinnt man formstabile Sägeware in ausgezeichneter Qualität.

Mit zunehmender Höhe geraten wir immer stärker in die Nebelsuppe der tief hängenden Wolken. Die sichtbare Welt reduziert sich auf weniger als 50 Meter. Es nieselt immer stärker. Allgegenwärtig die Reste von Lahares, oft noch ohne Vegetation. Bäche und Flüsse haben sich durch diese Aufschüttungen bis auf den felsigen Untergrund gegraben. Wie die Ränder eines Hohlweges begleiten annähernd senkrechte Wände die Wasserläufe hier und noch sehr weit ins flache Land hinaus. Diese Schluchten mit ihren bis 30 Meter hohen Mauern sind unpassierbar und Brücken darüber sehr selten. Für die bäuerliche Bevölkerung bedeutet das oft viele Stunden Umweg beim Transport ihrer Produkte.

Die Straße wird steiler und abenteuerlicher. Eine Brücke ist weggerissen und der Bus kurvt um die Blöcke im Bachbett. Das Wetter und meine Stimmung verschlechtern sich zusehends. Das Gelände wird flacher. Stop an der Limpiopungo-Lagune, einer Gruppe kleiner Seen, mit Enten und einem Gelbschenkel, bei näherem Hinsehen auch Andenmöven, ein Andenkibitz und zwei Andenbläßhühner. Und dann plötzlich innerhalb von Minuten eine bühnenreife Inszenierung: Über uns öffnen sich die Wolken, strahlend blauer Himmel, die Lücke wird größer, der Nebel teilt sich wie ein Vorhang und mitten im Bild der Cotopaxi mit seinen 5.800 Metern der höchste aktive Vulkan der Erde. Eine blendend weiße Gletscherhaube vor dem blauen Himmel. Wir stehen auf einer vollkommen glatt erscheinenden Fläche von mehreren Quadratkilometern. Das Bild wird noch unwirklicher durch deren gleichmäßige aschgraue Farbe. Es ist eine einzige Flechtenart, die die ganze Fläche wie mit einer gehäkelten Decke überzieht. Sie ist nur wenige Millimeter hoch, nie dichter oder schwächer aber absolut dominant und gleichmäßig. Wenige Arten, aber sehr leuchtende Blumen, zaubern Akzente in diesen Teppich.

Der Bus bleibt zurück. Die letzten zwei Kilometer waren bereits eine abenteuerliche Geländefahrt. Wir sind über den Wolken, die noch immer die Täler füllen. Über uns ein vollkommen klarer Himmel. Es geht zu Fuß langsam und mit Pausen einige hundert Höhenmeter auf Steigspuren ein steiles Schlackenfeld empor, zur Refugio Jose F. Ribas auf 4.800 Metern Höhe. Die Hütte am Rande der Gletscher dient als letzte Basis für die Besteigung des Cotopaxi. Hmm - das wären also noch 10 Stunden bis auf den Gipfel eines der mächtigsten Berge der Anden! Aber untrainiert, ohne Höhenanpassung und Partner bleibt mir der Schnabel wohl sauber. Zum Träumen reicht's aber allemal.

Wir fahren fast die gesamte Höhe über eine tiefe, weiche Geröllhalde aus gleichmäßig gekörnter Schlacke ab. Weiter unten noch mal schöne, fremde Blumen. Der Regen kommt zurück. Kurz vor Quito ertrinkt die Landschaft förmlich in einem Wolkenbruch. Da kommt vielleicht was runter!


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