8. Tag - Von Cuenca nach Riobamba
Großtiermarkt bei Francisco und die Ruinen von Ingapirka



Busfahrt Cuenca - Riobamba
Stop auf offener Straße. Vor uns ein Bus und querstehende Militärjeeps. Die Szene wirkt bedrohlich: Soldaten mit Schnellfeuerwaffen und dazwischen die Passagiere des Busses. Passkontrollen, Satellitentelefonate, ein junger Mann und eine Frau mit den Händen gegen den Bus gelehnt, die Beine gespreizt, dahinter ein Uniformierter mit dem Gewehr im Anschlag. Der Konflikt, ausgelöst durch die peruanische Landnahme 1941 im Amazonasbecken, wirft seine Schatten. Das Problem wurde 1995 verschärft als Grenzposten der beiden Länder aneinandergerieten. Wir wurden auch des öfteren zur Überprüfung unserer Identität gestoppt. Meist genügte der Zettel mit unseren Daten den Harry, unser Reiseleiter, in genügender Stückzahl vorbereitet hatte. Einmal wollte es einer ganz genau wissen und verglich jeden einzelnen Paß mit der Liste. Heute winkt man uns durch.

Großtiermarkt bei Francisco
Auf freiem Feld ein Konglomerat aus offenen Lkw 's, Menschen, Schweinen, Rindern, Pferden und Schafen. Bunte Kleider, kräftige Farben, viele Trachten. Die Menschen beschäftigt, konzentriert, wir werden nur kurz gemustert. Ein Schwein wird verladen. Ein anderes verweigert seiner neuen Herrin die Gefolgschaft: Schimpfend und quieken, die Hintern aneinandergestemmt, zieht jeder in eine andere Richtung an dem Strick, den man dem Borstenvieh umgebunden hat. Über offenem Feuer brutzeln in verbeulten, schwarzen Töpfen Tornados, so eine Art Riesenravioli mit pikanter Fleischfüllung. Zwei Männer halten sich an der Hand und versuchen über den Kauf einer Kuh handelseins zu werden, die ecuadorianische Variante des Viehhandels. Ein Bündel Grünzeug, eine Handvoll Passionsfrüchte auf einer Matte warten auf Käufer. Wie das Gekröse eines aufgeschnittenen Tieres, das Geschlinge von Würsten die in einer großen Pfanne schmoren. Gebratene Fleischbrocken, ein Spanferkelkopf mit bleckenden Zähnen, Coca Cola, gelbe Maisfladen, verbeulte Aluminiumkessel mit Eintopf, und all die Tiere einzeln oder in Gruppen mitten unter den vielen Menschen.

Die Ruinen von Ingapirka
Ein hügeliges Plateau mit weitem Blick über das Land mit seinen tief eingeschnittenen Tälern. Weidende Lamas halten die Grasflächen kurz. Den Zentralbau und den Bereich der Mondpriesterinnen trennt eine flache Mulde mit geometrischen Linien von Fundamenten der alten Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Den Eingang beengen unklare Kult- oder Opfersteine. Die Bauten der Cañari wurden im Wohnbereich und zum Teil auch im Bereich der Priesterinnen in den Neubau integriert. Auch der seltsame Kultplatz am Eingang dürfte cañarischen Ursprungs sein. Das Mauerwerk des Zentralbaues ist aus fugenlos geschichteten Steinquadern errichtet. Vor allem die Blöcke der Stützmauern passen noch immer so exakt, dass man kaum eine Fuge findet, in die man eine Messerklinge schieben könnte. Oben auf der Plattform gruppieren sich der ovale Tempel und zwei Gebäudekomplexe mit den relativ erdbebensicheren, trapezförmigen Giebeln. Kurz nach dem Sieg des Inkas Yupanqui 1470 über die Cañari entstand die Anlage. Sie wurde aber bereits 1530 wieder verlassen.

Die Inka
Die Sagen sind sich nicht so recht einig. Ist er aus einer Höhle gekrochen oder vom Himmel gestiegen. Hat er seine Schwester geheiratet oder sonst was passendes gefunden. Auf alle Fälle scheint der erste Inka, Manco Cápac, im 12. Jahrhundert aufgetaucht zu sein, um am Titicacasee Cusco die Stadt seines kommenden Reiches zu gründen. Romulus und Remus lassen grüßen. Er und seine Nachfolger unterwarfen in Peru, Chile und Ecuador alle Hochkulturen ihrer Zeit. Die Widerstandskraft der Besiegten zerbrachen sie mit großräumigen Umsiedlungen. Auch Tausende von Cañaris wurden so nach Bolivien verbracht. Unter dem 13. Inka, dem 1533 von den Spaniern umgebrachten Atahualpa, erstreckte sich das Reich fast über die ganzen südamerikanischen Anden einschließlich der Küste und hinab in den Regenwald.

Die Organisation des gewaltigen Reiches war beeindruckend. Eine rasche Nachrichtenübermittlung ermöglichten Meldeläufer auf den ca 20.000 km Straße, die mit Vorratshäusern und Wehranlagen bestückt, die Städte verbanden. Das Quechua, die einheitliche Sprache des Reiches mußte von den unterworfenen Fürsten erlernt werden. Sie wurden dann mit Ämtern versehen in die neue Ordnung eingegliedert. Auch mit den religiösen Strukturen wurde ähnlich verfahren. Hier in Ingapirka widmeten sie den Mondkult der Cañari zu eigenen Zwecken um. Man übernahm die Mondpriesterinnen und ließ sie das Bier brauen und hatte, wie der große Häuptling im fernen Cusco, sicher noch weitere sinnvolle Verwendung. Vor dem Betreten des Heiligtums war für die Frauen waschen angesagt, im Freien, auf halbem Weg zum Tempel. Schöne nackte Frauen vor'm Fenster, Peepshow live, besser als Reality-TV und Internet!

Der herrschende Inka in seinem goldstrotzenden Palast in Cusco ließ sich als Sohn der Sonne, der höchsten der Inkagötter, verehren. Ein überwältigender Beweis: Das Aufblitzen der Sonne in seiner Hand. Dass er einen kleinen Spiegel aus geschliffenem Pyrit am Handgelenk trug, wußte ja nur seine engste Umgebung. Ausgewählt als Fähigster unter seinen Brüdern und Halbbrüdern, beim Tod seines Vaters zum neuen Inka erwählt, nahm er eine Schwester oder Halbschwester zur Hauptfrau und dazu eine große Anzahl von Konkubinen. Der gezeugte Nachwuchs wurde im Palast einer besonderen Erziehung, wohl eine Art Eliteschulung, unterzogen. Aus diesem Kreis kamen auch immer wieder Menschenopfer, wobei psilocypinhaltige Pilze sicher sehr hilfreich waren bei deren Freiwilligkeit. Ein etwas zynisches aber äußerst effektives Auslese- und Scheidungsrecht mit dem angenehmen Nebeneffekt, das machterhaltende Insiderwissen nach außen wirkungsvoll abzuschirmen.

Das Zusammenleben in dem hierarchisch verwalteten System regelten die Gebote: "Sei nicht faul, lüge und stehle nicht". Eigentum gab es keines. Das Land als Gemeinschaftsgut wurde wie auch die Ernten an alle verteilt. Weder die Vorgängerkulturen noch die Inka selbst kannten eine Schrift in unserem Sinne, sehr wohl aber das Dezimalsystem der Zahlen. Mit ihren Knotenschnüren, den Quipus, übermittelten sie Nachrichten und erledigten die Abrechnungen und Buchführung. Alte Berichte sprechen sogar von Gedichten, die mit den Knoten geschrieben waren. Die Zahlen sind problemlos für uns lesbar: An einer waagrechten Schnur hängen nebeneinander Fäden, in die jeweils bis zu neun Knoten geschlungen sind. Die rechte Schnur benennt die Anzahl der Einer, die links daneben die Zehner, dann die Hunderter usw. Eine weitergehende Entzifferung gelang bisher nicht. Es ist einfach zu wenig übrig geblieben. Die Missionare haben unter dem "Teufelszeug" gründlich aufgeräumt.

Ackerbau bis zu den Gipfeln in 4000 Metern
Der Bus rüttelt uns durch ein wildes Bergland. Stundenlang quält sich die Straße durch enge, schluchtartige Täler, die mit ihren extrem steilen, oft 1.000 Meter hohen Flanken das Land zerschneiden. Alles ist grün. Von den Bächen tief unten, bis zu den Bergspitzen wuchert ein dichter Pelz aus Buschwerk und niederen Bäume. Wo immer das Gelände es zulässt nutzen die Indios die Flächen als Acker- und Weideland. Kartoffeln gedeihen noch in 4.000 Meter Höhe, für Mais ist bei 3.400 Meter Schluß. Am Markt in Cuenca konnten wir bereits neben Maniok, Gemüse und Früchten die erstaunliche Vielfalt der Körnerproduktion des Umlandes bestaunen. Zu sehen waren Kürbiskerne, Samen und Nüsse, sehr viele Getreide- und Maissorten, auch Hülsenfrüchte von Lupinen über Soja bis Buschbohnen. Die Fahrt nimmt kein Ende. 7 Stunden Chaosstraße, eine kilometerlange Baustelle und dann zur Entspannung 2½ Stunden neuer Asphalt. Riobamba erreichen wir bei stockdunkler Nacht. In der Hosteria Abraspunga dann ein eisiges, klammes Bett. Ich kämpfe bis zum Morgen mit meinen kalten Füßen und das Mitten am Äquator. Hab' ich eigentlich anders erwartet.


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