11. Tag - Von der Isla Amazonica Lodge vorbei an Quito und weiter nach Norden zur Hacienda Pinsaqui



Ein kleines Wasserglas gestrichen voll mit Kakerlaken aller Größen. Frau Kowarik hat sie in der Nacht gefangen. Schaben am hellichten Tage in einem offenen Glas - wieso hauen die nicht ab? Bekam die Dame von dem Schamanen einen Tipp? Ist sie selber eine verkappte Zauberin? Ist dann doch ganz einfach: Die Viecher schlafen ihren Rausch aus! Ein zentimeterhoher Rest Rotwein, das Glas in die Mitte des Zimmers auf den Boden gestellt und alle kamen - gewußt wie. In meinem Zimmer herrschte ungestörter Schabenbetrieb. Als ich aufwachte saß so ein 3 cm Tierchen in aller Ruhe auf meiner nackten Schulter und sah mir tief in die Augen. Vielleicht war es aber auch eines von den Betrunkenen und hat sich im Dunklen verlaufen - weiß man's.

Der Bus rüttelt uns durch ein wildes, tief gegliedertes Bergland. Ich hielt die gewaltige Schlucht des Rio Pastaza für einmalig, doch die gesamte Ostflanke zum Tiefland zeigt sich zerfurcht von vergleichbaren Eintiefungen. An die 1.000 Meter hohe, endlos lange Talflanken, durchgehend extrem steil, seltsam strukturlos. Die dichte, alles überwuchernde Vegetation nivelliert die Hänge weiter zu kilometerlangen grünen Mauern. Die Täler - die Gipfellinien - der alles überziehende grüne Pullover - seit Stunden der gleiche Film... Wie war das gleich wieder mit dem Amazonas? Samt seinen Zuflüssen strömte er ursprünglich von Osten nach Westen und mündete in den Pazifik. Die Andenkette wurde hochgedrückt und blockierte wie eine Staumauer den alten Abfluß. Ein "See" staute sich über das ganze Festland hinweg. Irgendwann fand sich ein Überlauf in den Atlantik, den die abfließenden Wassermassen rasch eintieften. Letztendlich lief die Wanne an der anderen Seite des Kontinents wieder weitgehend leer.

Vulkanismus und Plattentektonik,
Die Plattentektonik, der Motor dieser Ereignisse, ist ein weltumspannendes, sehr komplexes Szenario meist erdteilgroßer, driftender Gesteinsplatten. Auf unser Reisegebiet bezogen und stark vereinfacht driftet seit Jahrmillionen der gesamte südamerikanische Kontinent jährlich um etwa 2,5 cm nach Westen. Gleichzeitig gleiten Platten des Pazifikbodens um bis zu 7,5 cm nach Osten. An der Westküste des Kontinents treffen sie aufeinander. Der enorme Druck an den Kanten führte zu Hebungen und Aufdomungen des kontinentalen Plattenrandes um 4.000 Meter und mehr. Wasser und Eis formten daraus die Küstengebirge von Feuerland bis Alaska. Die pazifische Platte gleitet unter dem Festland ins Innere der Erde. Mit ihrer ungeheuren Masse durchstößt sie als kompakte Einheit den gesamten Erdmantel und erreicht in 2.900 Kilometer Tiefe den Erdkern. Die nun flüssige Steinschmelze sammelt sich hier in Kavernen von astronomischen Ausmaßen. Das eingedrungene Material ist leichter als das der Tiefe und bricht über kurz oder lang wieder durch Schlote und Spalten zurück an die Oberfläche. Sedimente, von Flüssen eingespült und besonders die Reste abgestorbener Meeresorganismen türmen sich im Laufe von Jahrmillionen am Ozeanboden zu wassergesättigten, kilometerdicken Schichten. Diese von Kalk dominierten Massen schmelzen rasch von der Oberfläche einer abtauchenden Platte ab und bilden unter dem Einfluß des eingeschlossenen, extrem überhitzten Wassers ein brisantes etwa 1.200 Grad heißes Konglomerat. Sehr viel leichter als das aufliegende Gestein, beginnt es sich einen Weg nach oben freizuschmelzen. Risse und Brüche, vor allem aber alte Gänge früherer Ausbrüche, begünstigen und kanalisieren den Aufstieg. In den freigebrannten Kammern spült heiße, aus dem Untergrund nachdrängende Lava die abgekühlte nach unten, zurück in die Glut. So brennt sich unter dem titanischen Druck der Tiefe, ein Kanal zur Oberfläche - Nachschub für die gefährlichen Feuerberge Ecuadors, Perus und den ganzen Feuergürtel der amerikanischen Westküste. Das Vernichtungspotential des überhitzten Wassers in ihrem Auswurfmaterial ist oft nur noch in Atombombeneinheiten zu skalieren - der Mount St. Helens läßt grüßen.

Die Hauptmasse der Platte, vor allem Peridotit aber auch Gabbro, Basalt, Andesit und wie die Tiefengesteine alle heißen schmilzt zu gasarmer Lava, wie sie bedrohlich aber relativ überschaubar in feurigen Strömen manche Berge hinabfließt. Der gigantische Materialeintrag in den Erdmantel erfordert eine Rückführung zur Erdoberfläche in vergleichbarer Dimension. Der tausende von Kilometern lange Hot Spot des Mittelatlantischen Rückens ist wohl der geeigneter Ort dieser Anforderung gerecht zu werden. Ein mächtiger Strom glutheißen Gesteins, ein Superplume, quillt von der schmelzenden Platte durch die Tiefen der Erde an die geologische Schwächezone am Grunde des Atlantiks. Die Gewalt der hochdrängenden Lava preßt hier die Kontinentalplatten auseinander, nach jeder Seite um ca 2,5 cm pro Jahr. Der Kreis schließt sich. Es ist die gleiche Platte und es sind die gleichen zweieinhalb cm um die sich das Festland nach Westen schiebt.

Die Hacienda Pinsaqui,
Eine halbe Stunde vor acht bei etwa 350 Höhenmetern losgefahren, um fünf Uhr im neuen Quartier nördlich von Quito auf ca. 3.000 Metern angekommen. Dazwischen der 4.200 Meter hohe Papallacta-Paß und das Ganze auf überwiegend schlechten Straßen bei wenigen kurzen, botanisch und landschaftlich aber reizvollen Pausen. Südlich von Quito an der "Straße der Vulkane" dann die Parade der Giganten. Die großen Andengipfel, praktisch alle Fünf- und Sechstausender, sind isolierte Vulkankegel die das Bergland - wie Maulwurfhaufen eine Wiese um bis zu 3.000 Höhenmetern überragen. Die Fahrt heute war schon hart, aber nach einer Stunde Sonderschlaf ist alles wieder ok.

Die Hacienda Pinsaqui ist ein prächtiger, kolonialer Landsitz bei Otavalo mit uralten Bäumen im ummauerten, weitläufigen Park. Vor allem beeindrucken einige geradezu gigantische Araukarien. Das schlossartige Herrenhaus punktet mit prächtiger Fassade, Freitreppen und erhöhter Terrasse aus behauenen Steinen. Die Innenausstattung der Räume handgearbeitet, geschmackvoll, alt - gewachsene und am Leben gehaltene Vergangenheit. In meinem "Zimmer" ein gemauertes Erdbeet, etwa 2,5 x 13 Meter mit Blumen, Sträuchern, niederen Bäumen mit Epiphyten, alles fest verwurzelt und zusammengewachsen. Im ganzen Haus livriertes Personal. In das Kaminzimmer kommt alle zehn Minuten ein Diener mit einer Kanne Petroleum und schüttet, mit der Sicherheit oft geübter Routine, einen kräftigen Guß davon ins Feuer. Einfach so, schwups aus der vollen Kanne über die brennenden Scheiter. Die verheizen grünes, dickes Rundholz. Das brennt eben nicht von alleine und offenbar explodiert auch Nichts.

Der Grande bittet in die Sattelkammer zum Empfang. Das offene Feuer verbreitet anheimelnde Wärme. Exotische Drinks werden gereicht und frische Tornados auf gewärmter Platte. An den Wänden Pferdebilder, Pokale, Zaumzeug, auf Böcken wertvolle Sättel mit Flecht- und Lederschnittarbeiten. Höfliche Fragen, freundliche Antworten: Seit der Landreform etwas kleiner, reichen die Ländereien immer noch bis zu dem Vulkan am Horizont. Das Familienvermögen erwirtschafteten vergangene Generationen mit der Verarbeitung von Schafwolle. Alleine die Weberei beschäftigte mehr als 1.000 Menschen. Jetzt betreibt man nur ein wenig extensive Rinderzucht. 1863 erscheint die Hacienda auf der Weltbühne - ein Vertrag wird hier unterzeichnet zwischen Kolumbien und der Türkei. Die prächtigen Pokale ringsum? Trophäen kleiner lokaler Turniere (Hmm... hat er wohl selber gestiftet um später was Ordentliches zu gewinnen). Ein brauner Wallach, sein Lieblingspferd, wird in den engen Raum geführt und angemessen präsentiert. Pferde und reiten scheinen der zentrale Lebensinhalt hier zu sein. Die vielen Bediensteten arbeiten fast umsonst und im übrigen lebt es sich offenbar bestens von den Zinsen der Vergangenheit.


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