12. Tag - Helikonienfalter, Valle del Chota,
Nationalpark Ecologica El Angel, zurück nach Quito



Passionsblumen und Helikonienfalter
Unsere Reise führt durch stark kupierte Kulturlandschaft weiter nach Norden, an die Grenze zu Kolumbien. Das Land ist grün, fruchtbar - bewaldete Hügel, große Busch- und Bauminseln um die Felder. Eine einsame Straße, gesäumt von Wällen mit dichter Vegetation. Wir finden schöne Blüten auch Passionsblumen [01] und Alfred Schürmann erzählt von den unglaublichen Abwehrstrategien dieser Pflanzen gegen die Helikonienfalter, [02] deren Raupen sich von ihren Blättern ernähren.

Die einzelnen Arten dieser Schmetterlinge [03] bevorzugen zur Eiablage jeweils eine eigene Spezis aus der großen Passifloragruppe. Um die Schädlinge zu täuschen ahmen die Pflanzen mit ihren Blättern das Aussehen von Gewächsen nach, die nicht von den gefräßigen Raupen des Falters befallen werden. Die Schmetterlinge entlarven aber häufig den Schwindel und die Pflanzen werden entlaubt .

Für den Neuaustrieb probiert es die Passiflora mit den Blättern einer anderen, ebenfalls resistenten Art (ihr Laub sieht dann häufig völlig verändert aus) und lagert zudem starke Giftstoffe ein. Die Raupen sind aber gegen die Toxine immun. Noch schlimmer, sie reichern diese Stoffe im eigenen Organismus an und werden so für die Vögel ungenießbar. Auf den ersten Blick ein Schuss ins Knie, entpuppt sich dieser Weg bei genauer Betrachtung aber als geradezu perfide Strategie den Fressfeinden zu schaden.

Ein Teil aller Raupen, es sind im Schnitt ein Drittel, fällt regelmäßig Parasiten zum Opfer. Es sind vor allem Brutparasiten wie die Schlupfwespen, deren Maden sich in den Schmetterlingslarven entwickeln und ihre Wirte regelrecht von innen ausfressen. Dabei "handeln" sie mit erstaunlicher Konsequenz: Die Schmarotzer bevorzugen deutlich die Raupen ,die wegen ihrer Inhaltsstoffe von den Vögeln gemieden werden. Fanden sich bei Untersuchungen unter den Schmackhaften nur etwa zehn Prozent, waren die Ungenießbaren zu mehr als sechzig Prozent befallen.

Ihre Giftigkeit, der Schutz der Raupen vor den Vögeln, schützt auch die Wespenmaden die sich in ihrem Körper entwickeln: Werden die Raupen nicht gefressen, bleiben auch die Schmarotzer in ihrem Inneren ungeschoren. Die Pflanzen fördern noch aktiv diesen verblüffenden Ablauf. Mit Botenstoffen - Pheromonen - locken sie die Feinde der Raupen gezielt an. Einen Erfolg ihrer ganzen Strategie bringt aber erst die Zukunft. Die nächste Generation der Falter wird dezimiert, die Population ihrer Peiniger dagegen massiv erhöht.

Die schmarotzenden Maden bringen die Raupen erst spät um. Herz, Nerven, Verdauungstrakt, alle lebenswichtigen Organe ihres Wirtes schonen sie sorgfältig bis zuletzt. Die werden erst gefressen unmittelbar bevor sie sich selber verpuppen. Die kranken Raupen leben über Wochen mit der tödlichen Last im Leibe. Lange genug, um bei starkem Befall die Passionspflanze erneut zu entlauben.

Die Pflanzen versuchen gegenzusteuern, mit einer weiteren, sehr wirkungsvollen Strategie, die unmittelbaren Schutz verspricht. Sie ködern mit zuckerhaltigen Ausscheidungen Ameisen und Wespen. Die nehmen die Süßigkeit gerne an und verschleppen die Raupen auf dem Rückweg in ihre Nester als hochwillkommenes Futter für die eigene Brut. Eine Gewähr, dass die Raupen nicht schneller fressen als selber gefressen zu werden ist das aber auch nicht, und die Ranken stehen wieder mal oben ohne im Gelände.

Jetzt, und erst jetzt, schwingt die Pflanze die ultimative Biotechkeule: Sie bildet Eiattrappen, etwa kleine Wucherungen an der Unterseite der Blätter, oder je zwei gelb-orange Knospen an den Blattansätzen und imitiert damit die Art der Eiablage ihrer individuellen Fressfeinde. Den Schmetterlings-Weibchen wird vorgegaukelt, eine solche Pflanze wurde von Vorgängerinnen bereits vollkommen belegt. Rien ne va plus.

Hmmm... warum zuerst Versuch 1, 2 und 3? Warum nicht gleich die perfekte Lösung 4? Warum gibt es überhaupt noch Passifloren ohne die Eiattrappen? Es muss von fundamentalem Vorteil für die Pflanzen sein diesen verlustreichen Weg immer wieder von vorne zu gehen - wäre es anders, es hätte sich auch anders entwickelt. Wir kennen ja vergleichbare Mechanismen auch bei anderen Gewächsen die mit Fressfeinden ähnlich verfahren. Es sei nur an die Akazien in den afrikanischen Savannen erinnert und an unsere alpinen Lärchenwälder. Vielleicht passt das Nächstliegende, und die haben alle miteinander das bessere Gesundheitssystem gefunden. Immerhin, es funktioniert seit Jahrtausenden ohne an finale Resistenzen ihrer Peiniger zu stoßen. Wir, die Menschen, brauchten gerade mal ein halbes Jahrhundert um mit unserer Medizin vor diesem Abgrund zu stehen.

Valle del Chota
Im Valle del Chota wird die Gegend bergig und immer trockener, die Vegetation spärlich. Immer wieder sind aber kleine Areale in sattem Grün eingesprenkelt. Es ist die Andenkette im Westen die das Land gegen den Ozean abschirmt. Anbrandende Luftmassen verlieren an der Westflanke aufsteigend die Feuchtigkeit und erreichen die Halbwüsten des Tales als trockener, warmer Fallwind. Nur die Mächtigsten Tiefdruckgebiete schaufeln genügend Wolken über die Grate und bringen Regen, der aber in dem ariden Gelände rasch abfließt und versickert. In Mulden und tieferen Gebieten, dort wo sich das Wasser länger hält, gedeiht auf den fruchtbaren Böden ein wahrer Garten Eden, mit vielseitiger und ertragreicher Landwirtschaft.

Im Schutzgebiet Ecologica El Angel
Die Landschaft ändert sich erneut. Wolken ziehen um die felsigen Gipfel. Erst sind es nur wenige graue Flecken im Gelände und Scherenschnitte auf den Kammlinien der Hügel. Nach jeder Kurve, jeder Mulde werden es mehr, seltsame, bis zwei Meter hohe Pflanzen mit etwa zehn Zentimeter starken Stämmchen. Dichte Büschel abgestorbener Blätter umhüllen den oberen Teil. Darüber, wie ein Federschopf, Rosetten junger, stark behaarter Blätter und die gelben Blüten. Wir sind im Schutzgebiet Ecologica El Angel, bei den Espeletien (Espeletia hartwegiana), die sich einreihen unter den größten Korbblütlern weltweit. Der Bus hält hoch oben, dort wo man bereits über die Vorberge blicken kann und die Wolken Gipfel und Grate umfließen. Soweit man schauen kann, überall diese Pflanzen. Jede einzeln stehend, mit deutlichem Abstand zu ihren Nachbarn, überschwemmen sie wie eine riesige Herde ziehender Tiere die Mulden und Flanken bis zu den Gipfeln. Werden die Wolken dichter, verdämmern sie nach wenigen Metern wie Fabelgestalten grau in grau im Nebel, und man kann gut nachempfinden warum sie die Spanier Frailejones nannten - Riesenmönche.

Wieder in Quito
Ein dunkles Zimmer, ein warmes Bett und draußen nerven die Alarmanlagen - Quito hat uns wieder. Die lange Rückfahrt - irgendwie verlorene Zeit. Die vorbeihuschenden Bilder verblassen rasch und die Reste verschwimmen unentwirrbar ineinander. Von Otavalo hätte ich gerne mehr gesehen. Die Bewohner, die Otavaleños, kamen durch ihre Tüchtigkeit zu Wohlstand und Ansehen. Den Durchbruch schafften sie mit der weltweiten Vermarktung ihrer ausgezeichneten Webereien. Uns gönnte der Zeitplan nur einen Blick aus dem fahrenden Bus.

Viele Stunden vorher, oben in der Wüste, da sind wir ausgestiegen: Ein Bach ohne Wasser im unerbittlichen Licht der hochstehenden Sonne. Die Schlucht - aus dem Lößboden gegrabene fast senkrechte Mauern - zehn, fünfzehn Meter hoch. Flusskiesel, faustgroß in bunten Farben, grau, ocker, schwarz, rötlich braun - das ganze Bachbett wie gepflastert. Es müssen reißende Wassermassen gewesen sein die das Areal so großflächig und gleichmäßig gestalten konnten. Verdorrtes Gras, das stachelige Gewirr blattloser Büsche auf kleinen Absätzen, alles starrt vor Trockenheit. Kein Tourist steigt hier aus, es sei denn um sich zu erleichtern. Man muss schon den kleinen Dingen dieser Erde zugetan sein um hier Freude zu finden. Der Blick über das wüstenhafte, bergige Land unter dem blassen Himmel - der schwirrende Flug eines Kolibris - stachelige Gurken, die auf die Mitfahrgelegenheit des nächsten Hochwassers warten - eine einsame, handtellergroßen Malvenblüte in feinen Lilatönen. Irgendwie unwirklich, die zarte Blume in ihrer Verletzlichkeit inmitten von Dürre und Dornen.


zurück