14. Tag - Von der Tinalandia Lodge über den Andenkamm
in die Küstenebene zur Hosteria Alandaluz



Ein wunderbares Licht, es ist nicht mehr Nacht und noch nicht Tag. Tau liegt auf dem Gras - die Luft kühl, feucht, Hibiskusduft. Ich steige langsam den Hang zum Golfplatz hoch. Die Silhouetten der Bäume und Buschgruppen - in Graustufen hintereinandergereiht bis zum Horizont. Die letzten Schatten dort, eine bizarre Graphik am Himmel.

Dörfer aus Ziegel, Beton und Wellblech - alles irgendwie zusammengeflickt, provisorisch - überall Müll, Abfall, Staub. Eine Tankstelle mit Imbissbude und Schlieren verschütteten Altöls in den Pfützen. Ist hier das Erstemal auf der ganzen Reise, das mit dem Müll, und es wird im gesamten Küstenbereich so bleiben. Sind andere Menschen die hier leben, mit anderer Mentalität - sagt man uns.

Die Küsten-Regenwälder sind restlos abgeholzt und die Böden bis zur Unfruchtbarkeit ausgelaugt. Rein optisch aber, in seiner menschenleeren Unendlichkeit ein schönes, weites Land. Ein "Englischer Park" von Horizont zu Horizont und noch sehr viel weiter. Man sieht immer wieder kleine, magere Rinder bis zu den Schultern in dem schilfigen Gras. Sie fressen nur die jüngeren Spitzen, die harten Stängel schaffen selbst Rindermägen nicht. Zertrampelte und verbissene Flächen werden wieder abgefackelt und das frisch austreibende Gras weiter beweidet - die finale Möglichkeit aus dem geschundenen Land Nutzen zu ziehen. Das letzte Kapitel schreibt dann eine Allerweltspflanze: Die Fächer des Adlerfarns (Pteridium aquilinum) überstehen die Rodungsfeuer nicht. Aber die Nährstoffspeicher seiner meterlangen Rhizome, die feuersicher in wenigen Zentimetern Tiefe den Boden mit fingerdicken Strängen durchwuchern, bieten bei der Neubegrünung den Pflanzen einen uneinholbaren Vegetationsvorsprung. Die großen, dicht stehenden Wedel unterdrücken letztendlich alle anderen Gewächse und bilden - vor allem nach mehrmaligem Abbrennen - großflächige Monokulturen. Solche Flächen entziehen sich nach menschlichen Maßstäben auf immer jedweder landwirtschaftlichen Nutzung. Die Brandrodung ist im Lande verboten, aber nur wenige halten sich daran. Seit Jahrhunderten wird so und nicht anders auf diesen Böden gewirtschaftet. Der Ertrag mag mühsam errungen und kurzlebig sein, ist aber sicher und kalkulierbar. Die indigenen Bauern haben oft weder das Wissen noch die wirtschaftlichen Möglichkeiten etwas zu ändern.

Die beiden gewaltigen Gebirgsketten, Wolkensperren in Nord-Süd-Ausrichtung - das trockene Hochland dazwischen - vor der Küste die kalten und warmen Meeresströmungen - alleine oder im Zusammenspiel formen sie extrem wechselnden Vegetations- und Landschaftsformen: Am Morgen passieren wir noch ein außerordentlich fruchtbares Tal mit allen nur erdenklichen Nutzpflanzen, dann die großflächig zerstörten Wälder. Später über Stunden eine Halbwüste mit weitläufigen Flächen entlaubter Büsche. Dann abgeerntete, von tiefen Trockenrissen durchzogen Felder, mit Dörfern die schattenlos in der erbarmungslosen Sonne schmoren. Kapokbäume mit ihren mächtigen Stämmen. Relikte einer Zeit, in der man die Wolle ihrer Samenkapseln zur Polsterung von Sitzmöbeln in alle Welt exportierte. Und dann, übergangslos beim Überqueren des gut 4.000 m hohen Kordillierepasses, ganz oben an den Graten, dort wo die Vegetation die Feuchtigkeit aus den aufsteigenden Wolken kämmt, ein schmaler, nur wenige hundert Meter breiter Streifen üppigen Bergnebelwaldes in triefender Nässe mit offen fließendem Wasser. Die Aridität nimmt Hang abwärts rasch wieder zu und die Küstenebene ist wieder fest im Griff der Halbwüste.

Die Mateñas
An der Küste, im Machalilla Park. Dächer auf Pfählen, ringsum offen - stabile hölzerne Besucherwege - halb aus dem Lehm gegrabene tönerne Urnen: Geöffnete Mateñagräber, einem Volk das in der Zeit von 800 bis 1500 n.Chr. zu hoher kultureller und wirtschaftlicher Blüte kam. Kunstvolle Schmuckstücke und Schnallen aus Türkisen, Gold und Silber, ausgezeichnete kupferne Pfeilspitzen und Beile, Steinmetzarbeiten, aber auch Keramikkrüge in Tier- und Menschenform bildeten Handelsware mit der sie die Küsten entlangsegelten. Die Spanier beschrieben die Mateñas als kleinwüchsige Menschen mit deformierten Köpfen, reich behängt mit Muscheln und Goldschmuck. Wir müssen ihnen das glauben, sie waren die letzten die es gesehen haben. Als sie wieder gingen war nicht nur das Gold weg, die gesamte Kultur war erloschen.

Und jetzt die aufgerissenen Gräber, recht- und schutzlos dem Voyeurismus preisgegeben - weiter oben die verfallenen Steinsetzungen einer Kultstätte. Es ist wenig was bleibt. Aber dann stehen da diese Büsche: Auf einer Terrasse am Bach, eine auffallende Anreicherung sonst eher seltener Barbasco-Büsche (Deguelia utilis). Das Fischgift in deren zerstampften Zweigen und Wurzeln nutzten die Mateñas zur Fischerei. Die Pflanzen wurden offenbar damals an dieser Stelle kultiviert und trotzten nicht nur dem Vandalismus der Konquistadoren, sie behaupteten sich auch gegen die Wechselfälle eines halben Jahrtausends auf ihrem Platze.


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