16. Tag - Von der Hosteria Alandaluz
südwärs die Küste entlang nach Guayaquil



Schöne Landschaftsbilder - aber die Siedlungen! Hütten mit Gras und Blechabfall gedeckt, oft am Strand einfach in den Sand gestellt. Erst dachte ich das seien kleine Schuppen für Boote oder Gerät, aber die wohnen da, mit Kind und Kegel, Hund und Hühnern.

Schrimpzucht
Wasserbecken - hunderte von Metern groß - eines am anderen, zwei-drei Meter tief und nur Dämme dazwischen. Sie bedecken über Quadratkilometer das ganze Flussdelta bis zu den Hügeln ringsum und der Klamm ganz hinten, dort wo der Fluss die Vorberge verlässt - eine Shrimpfarm. Von der FAO (Food und Agriculture Organisation) als Lösung der Eiweiß-Probleme der Dritten Welt gepriesen und finanziert durch Weltbank und Entwicklungshilfe der Industrieländer entstanden in den 80er Jahren weltweit an tropischen Küsten derartige Farmen. Das "Niemandsland" der Mangrovensümpfe mit ihrem ebenen Bodenprofil auf Meereshöhe bot ideale Standorte, zumal auch der nötige Süßwasseranteil in den Becken von den Flüssen eingeleitet werden konnte.

Mit hoher Besatzdichte ( bis zu 600 000 Tiere pro Hektar) und künstlicher Fütterung (Fischmehl) kann man enorme Erträge erwirtschaften. Futterreste und Garnelenkot verursachen aber in den dichten Schwärmen trotz Chlorierung und täglichem Wasserwechsel ernste Probleme, die nur mit enormem Einsatz von Fungiziden und Antibiotika unter Kontrolle gehalten werden können. In Deutschland tauchte im Frühjahr 2002 hoch belastetes Fischmehl aus Garnelenabfall auf. Es enthielt derart hohe Antibiotika-Konzentrationen dass es als Tierfutter nicht mehr zugelassen werden konnte. Hier bei Colonche, an der Bahia de Santa Elena musste die Shrimpproduktion eingestellt werden. Man scheiterte an nicht mehr beherrschbaren Pilzinfektionen. Nun versucht man einen neuen Anfang mit afrikanischen Buntbarschen (Tilapia). Filetiert und tiefgefroren werden sie unter ihrem Gattungsnamen "Tilapia" weltweit vermarktet.

Die produzierten Garnelen gingen hier wie überall fast vollständig in den Export, vor allem nach Japan, Europa und den USA. Für die lokale Bevölkerung entstanden einige hundert neue Arbeitsplätze - aber zu welchem Preis! Mit den Mangroven verschwanden nicht nur die Muscheln, eine nahezu unerschöpfliche Nahrungsgrundlage für weite Bevölkerungsteile - die "Kinderstube" fast aller küstennaher Fische und Krebse existierte nicht mehr. Die Fänge der Fischer sanken in kurzer Zeit um bis zu 90 %. Den traditionell armen Küstenbewohnern brach ein entscheidender Wirtschaftszweig weg.

Mit Protestaktionen und Aufrufen zum Boykott von Zuchtschrimps erzielten die Fischer in den Verbraucherländern eine bescheidene Aufmerksamkeit. Die genügte aber, wohl aus Sorge um das Image ihrer Ware, die Handelsketten aufzuschrecken. 1997 gründete man das ISA-Net (Industrial Shrimp Action Network) und beteiligte daran Verbraucher- und Produzentenorganisationen aus 14 Ländern. Die liefern nun kluge und sinnvolle Forderungen, wie sie kein betroffener Fischer besser formulieren könnte: Renaturierung von Mangrovenwäldern - kein weiterer Ausbau der Shrimpindustrie - strenge Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen bestehender (!) Anlagen unter Beteiligung der betroffenen Bevölkerung. Angesichts einer expandierenden Nachfrage an dem äußerst profitablen Produkt wird das letztendlich nicht mehr bringen als es wohl auch bringen soll: eine gute Presse und positive Außenwirkung.

In Indien errang 1996 eine Frauengruppe einen juristischen Sieg gegen die Shrimpindustrie. Per Urteil wurde entschieden, dass die meisten industriellen Shrimpfarmen schließen, die Flächen renaturiert und Fischer und Bevölkerung entschädigt werden müssen. Doch es passierte nichts. Die Farmen machten unbehelligt von den Verwaltungen weiter. Im Norden des Landes, am Chilikasee kam es 1999 zu Ausschreitungen. Es waren mehrere tausend Anwohner, die in ihrer ausweglosen Lage das Recht in die eigenen Hände nahmen. Sie griffen mit Hacken und Schaufeln die Teiche an und beschädigten eine größere Anzahl. Die Polizei beendete den Spuk mit ihren Schusswaffen - es gab Verletzte und vier Erschossene.

Strandfischer
Ein Pulk von gut zwanzig Männern im Wasser der anlaufenden Wellen umgeben von wild kurvenden Fregattvögeln. Erst aus der Nähe ist erkennbar: Es sind Fischer und sie verteilen die Beute. Mit einem Ruderboot hatten sie ihr Netz etwa 200 Meter vor der Küste ausgelegt, um es dann mit Seilen langsam an den Strand zu ziehen. Kurz bevor das Netz das Ufer erreicht, stürzen sich mehrere Männer ins Meer und versuchten die Netzkanten über Wasser zu halten, um so den Fang zu sichern. Das muss sehr schnell und präzise ablaufen. Eine kleine Unaufmerksamkeit in dieser Phase und die Fische büxen aus. Die Aufteilung des Fangs folgt festen Regeln: Den Eignern von Netz und Boot gehört fast alles. Die Helfer gehen mit etwa zwei bis drei Kilo Fisch nach Hause. Mitgefangene Krabben, große, farbenprächtige Gesellen aus dem freien Wasser mit respekteinflößenden Scheren, nimmt sich wer mag, hier die Dorfjugend. Und last not least raufen um den Beifang und die ganz kleinen Fische die Vögel.

Mangroventour
Das Boot ist gut voll und es liegt tief im Wasser, Der Rand des Kahns und die Wasseroberfläche - es sind keine vier Zentimeter mehr dazwischen. Eine zierliche junge Schönheit steuert uns in aller Ruhe durch die schlammig graue Wasserfläche. Es war von Anfang an Wasser im Boot jetzt ist es deutlich mehr. Ein Aufschrei ganz vorne im Bug: "Ein Loch! Im Boden ist ein Loch!" In der Bootsmitte, was für ein Zufall, finden sich zwei Joghurtbecher. Die beiden Damen an der Bordwand beginnen zu schöpfen, und vorne versucht man mit dem Daumen den Zufluss zu dämmen. Für meine besorgte Frage, ob denn alle auch schwimmen können, ernte ich nur mäßigen Applaus. Aber eine der Damen, sie sitzt direkt hinter mir, flüstert mir ins Ohr: "Vielleicht säuft das Ding ab!" Unser Käptn - strahlende Augen, unschuldigstes Lächeln - steuert unbeirrt die vorgegebene Route. Zwei Damen schwingen die Becher, vorne versucht eine dritte mit klamm werdendem Daumen ihr Loch trocken zu kriegen und mindestens zwei weitere Daumenpaare drücken für den Untergang. So erreichen wir mit dem letzten Zentimeter freier Bordwand die Anlegestelle. Eigentlich schade - mit Schiffbruch wäre die Geschichte besser - ach ja Mangroven waren auch da.

Unbelaubte Büsche und rote blühende Malven. Die Blumen scheinen in den sperrigen Zweigen zu hängen. Woher die Pflanzen nur die Feuchtigkeit nehmen? Blühen ausgerechnet jetzt, mitten in der Trockenzeit. Wir fahren wieder durch ein sonnenverbranntes Land mit trostlos erscheinenden Dörfern. In der Nacht in Guayaquil, ein Erdbeben der Stärke 4,3 - hab's leider verpennt.


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