22. Tag - Quito -
Bummel durch die Altstadt und den Bauernmarkt



Straßenraub - ein emotionsloses Vokabel in irgendeiner Nachricht - hier reale Alltäglichkeit: Inszeniertes Gedränge an einer Ampel - beim Umschalten auf grün lässt eine Frau ganz vorne am Randstein etwas fallen. Sie bückt sich danach und blockiert so den Pulk der Menschen hinter ihr, der im selben Moment die Straße überqueren will. Plötzlich gieriges Fingern fremder Hände am Körper - Geschrei, Umsichschlagen unsererseits - kurz darauf ein zweiter und dritter Versuch. Erstauntes Erkennen: Wir befinden uns jenseits der Schwelle, die wir als Legalität definieren. Schlimmer noch hier existiert sie so wie wir sie erwarten überhaupt nicht - zumindest nicht in den Köpfen der Beteiligten und Zuschauer. Aus deren Sicht geschehen hier ganz normale, alltägliche Dinge.

Ein sonniger Morgen, die Reisegruppe hat sich aufgelöst, wir fahren zu viert in die Altstadt an die Plaza Grande mit dem martialischen Unabhängigkeitsdenkmal. Wie bei allen spanischen Stadtgründungen rechteckig angelegt präsentiert der Zentralplatz ein Gebäudeensemble weltlicher und klerikaler Macht. An der Westseite, dem Rathaus gegenüber beherrscht der gewaltige Palacio de Gobierno mit seinem erhöhten Arkadengang den Platz. Jetzt Residenz des Staatspräsidenten agierte hier früher das Gericht. Der Erzbischöfliche Palacio teilt sich die Nordfront mit dem Palast des ehemaligen Grandhotels Majestic. Eine aus der Gründerzeit stammende, schilfgedeckte Kapelle mit Adobewänden (aus einer Lehmschicht gestochene, ungebrannten Quader) an der Südseite des Platzes wurde Mitte des 16. Jahrhunderts durch die Basilika ersetzt. Man nutzte das traditionellen Minga-System der Indianer und ließ sie in "unbezahlter kommunaler Gemeinschaftsarbeit" den Bau errichten. In der Folge setzten Erdbeben dem Gebäude zu. Der Spanier Antonio Garcia bekam 1797 nach einem weiteren, verheerenden Beben den Auftrag die Kathedrale wieder zu errichten. Man bedachte dabei auch das Seelenheil der Heiden: Stufen führen zu einer Freifläche vor dem Portal. Hier durften nicht getaufte Indianer der Messe beiwohnen. Verglichen mit den anderen Kirchen ist die allgemeine Ausstattung eher bescheiden, die Bilder und Plastiken sind aber mit großen Namen ihrer Zeit verbunden.

Wenige hundert Meter weiter, in der Garzia Moreo prächtige koloniale Bauten im Charme ihrer Morbidität. Dazwischen die Fassade der "schönsten Kirche Südamerikas" La Compañia de Jesus. Man spricht von feinsten Schnitzereien in Zedernholz, Plastiken, Bildern, Fresken, Ornamenten - überzogen mit sieben Tonnen Gold. Der Eingang ist verschlossen. Ein Brand verursachte schwerste Schäden. Für die Sicherung und Restaurierung fehlt das Geld - man hofft auf ausländische Hilfe.

1535, nur 50 Tage nach der Stadtgründung, begann man mit dem Bau der Kirche "San Francisco". Es sind viele alte Arbeiten erhalten: Sehr schön geschnitzte Figuren namenloser Künstler der Quitener Schule. Aber auch Legarda und Caspicara, zwei Große ihrer Zeit, malten und schnitzten Altäre, Figuren und Gruppen von außerordentlicher Schönheit. Sehenswert das reichgeschnitzte Chorgestühl und die Kanzel mit ihren vergoldeten Figuren der Ungläubigen und Heiligen.

Rechts neben dem Portal eine Hochzeitsgesellschaft in der Cantuña Kapelle. Der Raum - gleißendes Gold in der festlichen Beleuchtung. Cantuña, ein Indianer ermöglichte ihren Bau und die Ausstattung durch umfangreiche Goldspenden. Der Reichtum des Indios weckte die Begehrlichkeit der Franziskaner und als er sagte nichts mehr zu haben, stellte man ihn vor Gericht. Aber selbst unter der Folter, der man ihn "um Christi Willen" unterziehen musste, gestand er nur, das Gold vom Teufel bekommen zu haben. Exorzismus und weitere Folter konnten seinen Starrsinn nicht brechen. Trotz Androhung von Fegefeuer und Hölle, die Quelle seines Goldes gab er auch sterbend nicht preis. Sein restliches Hab und Gut fiel an die Franziskaner. Cantuña wuchs im Hause des spanischen Kapitäns Juárez Herán auf und erbte nach dessen Tod sein gesamtes Vermögen. Mit Inkagold half der Junge bereits seinem Ziehvater einmal aus großen, wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Cantuña war der Sohn eines der Offiziere des Inkas Rumiñahui, der die Goldkarawane bei Baños stoppte, und den Schatz vergraben ließ, als ihn die Nachricht von Atahualpas Tod erreichte... Ist das hier die Spur des Goldes nach der ich in meinen Gedankenspielen auf der Hängebrücke in Baños fragte? Stehe ich hier vor dem Gold das Atahualpa die Freiheit bringen sollte?

Draußen vor dem Portal mit den kranken und verstümmelten Bettlern ein massiger Treppenabsatz. Man nivellierte beim Bau damit das abschüssige Gelände. Unten auf dem weiten Platz Hüte, lauter hohe, grünlich-braun-schwärzliche Filzhüte mit schmaler Krempe. Männer, Frauen, Kinder alle tragen sie diese Hüte. Ein Bauer sagt man hier nimmt seinen Hut nur in der Kirche ab und zum Schlafen. Marktszenen, bunte Trachten, dankbare Fotomotive - wir bummeln durch die Straußen westlich des Zentrums. Überall Frauen, Kinder, kleine Gruppen die landwirtschaftliche Produkte verkaufen. Oft besteht das ganze Angebot nur aus einigen fleckigen Orangen oder einem Beutel ausgelöster grüner Erbsen. Und dann der Überfall - kurz darauf der zweite und dritte Versuch. Beute machen sie keine, wir sind mit leeren Taschen unterwegs - auch der Schaden, ein Rasiermesserschnitt in einer Hose, erträglich. Beklemmend die Selbstverständlichkeit des Geschehens. Die Umstehenden streifen die Szene mit einem gleichgültigen Blick, sehen zu oder auch nicht. Nichts um daran einen Gedanken zu verschwenden. Nichts das es wert wäre beachtet zu werden.


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